Als Frau an der Seite des schon zu Lebzeiten berühmten Dichters und Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß (1751–1826) erfuhr Ernestine Boie (1756–1834) schon von Zeitgenossen große Anerkennung für ihre Rolle als Muse, Mutter von fünf Söhnen, ausgleichendes Element der Familie und enge Beraterin und Vertraute. Inzwischen deutet man sie jedoch nicht nur als Frau im Schatten ihres Mannes, sondern als eigenständige, ernst zu nehmende Schriftstellerin.
„Ernestine saß am Caffeetisch in der Laube; sie empfing mich mit der Gastlichkeit und Freundlichkeit einer Hirtin. Es ist eine kleine, rothwangigte, natürliche und liebe Frau. Ich hätte beynah eine Tasse des gebrannten Getränks aus ihrer Hand angenommen; ob es mir gleich, wie Sie wissen, Gift ist“. So schildert der dänische Schriftsteller und Übersetzer Jens Immanuel Baggesen seine humorvolle Erinnerung an ein gemeinsames Kaffeetrinken 1789 in der Gartenlaube der Familie Voß in Eutin. Hier klingt sie wieder an, die vielzitierte „Vossische Hausidylle“ – Ausdruck des bürgerlichen Selbstverständnisses einer Dichterfamilie der Spätaufklärung, für die Ernestine Voß die treibende Kraft war.