Kristofs Kulturkritik

Kulturzeitschrift Schleswig-Holstein Kristofs Kulturkritik
  • 2. April 2016: Kulturfest, Eröffnung der „Kleiderkammer“, Bosau //
  • 30. April- 1. Mai 2016: Musik im Wandel „25 Jahre -25 Stunden“ Wandelkonzerte, Musikhochschule Lübeck //
  • 27. Mai 2016: Eröffnung des Deutschen Pavillons auf der Architektur-Biennale Venedig //
  • 3. Juni 2016: NordArt Pre-Opening, Büdelsdorf //

Kristof Warda ist viel unterwegs in Sachen Kultur. In der Kolumne „Kulturkritik“ schildert er seine Eindrücke zu einigen Veranstaltungen aus seinem Terminkalender

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2. April 2016: Kulturfest, Eröffnung der „Kleiderkammer“, Bosau

Dorothea ist hier geboren. Darya auch. Dazwischen liegen circa 30 Jahre. Daryas Eltern sind letztes Jahr aus Syrien geflohen und leben nun in der Gemeinde Bosau. Als ausgebildete Hebamme kümmert sich Dorothea um die Neugeborene Darya und ihre stolzen jungen Eltern. Sie alle sind heute beim Kulturfest im Bosauer Gemeindezentrum dabei. In einem großen Buffet mischt sich die traditionelle deutsche Kaffeetafel mit arabischer und persischer Cuisine, es wird gemeinsam getanzt und gesungen und vor allem viel miteinander geredet. Darya lässt sich von dem Trubel um sie herum nicht stören und schläft seelenruhig in ihrer Wiege.

Heute Morgen wurde im Dorfzentrum die „Kleiderkammer“ eröffnet. Die Rede des Bürgermeisters wird auf Arabisch und Farsi übersetzt. „Kleiderkammer“ ist nur der vor-läufige Name, sagt Bürgermeister Schmidt und bittet um passendere Vorschläge. In den letzten Monaten wurde der seit Jahren leerstehende EDEKA-Laden gemeinsam wiederhergerichtet. Hier findet nun regelmäßig Deutschunterricht bei Kaffee und Tee statt, hier gibt es nun Computer mit Internetverbindung, WLAN, Kaffee und Tee, und eine Menge Klamotten und Einrichtungsgegenstände.

Die „Kleiderkammer“ soll ein Ort der interkulturellen Begegnung werden und orientiert sich dafür auch (gewollt oder ungewollt) an Konzepten der Transition-Bewegung um Rob Hopkins. Die Stimmung ist sehr gut: Nicht nur die Herzlichkeit zwischen den Geflüchteten und den freiwilligen Helfern beeindruckt mich. Auch die Herzlichkeit der „alten“ Dorfbewohner untereinander. Es scheint, als seien sie enger zusammengerückt, als blühe die Gemeinde auf – und zwar durch die und mit den circa 70 „neuen“ aus Afghanistan, Syrien, dem Kosovo.

Ich spreche mit dem ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde. Wir unterhalten uns über den Ort und seine Entwicklung, und über den heutigen Tag. So schön es heute sei, über die verheerenden langfristigen Entwicklungen im ländlichen Raum könne es doch nicht hinwegtäuschen, meint er. Ich denke an meine Kindheit und Jugend hier zurück und verstehe seinen Punkt: EDEKA-Laden, Post, Tankstelle, Bank – alles ist langsam aus dem Ort verschwunden. Und selbst die Busverbindungen in die Kreisstadt Eutin werden immer teurer, unregelmäßiger und komplizierter. Nach Plön, das man auf der anderen Seite des Sees sogar sehen kann, gab es noch nie welche.

Die Eigeninitiative der Dorfgemeinschaft gibt Hoffnung. Darüber hinaus aber braucht der ländliche Raum dringend die systematische Unterstützung der Landespolitik um der jahrzehntelangen Tendenz seiner Abwicklung entgegenzuwirken. Denn nur, wenn der Prozess umgekehrt wird, bietet die idyllische Gemeinde eine langfristige Perspektive für Darya, für ihre Eltern und für alle anderen jungen Einwohner.

30. April -1. Mai 2016: Musik im Wandel. „25 Jahre-25 Stunden“. Wandelkonzerte, Musikhochschule Lübeck

Treuherzig tuckert der Dieselmotor durch den südfranzösischen See. Picknickend springen junge Menschen in gepunkteten Kleidern durch die ländliche Idylle. Im Kloster räumt derweil der Restaurator sein Gerüst von links nach rechts. Irgendwo hupt eine Kuh, im Feierabendverkehr stadtauswärts steckend. Oder muht ein Auto auf der Wie-se? Man murmelt was und steigt in den Bus hinaus in die Welt, der Traktor entfernt sich langsam über den warmen, von sanftsommerlichen Böen leicht gekräuselten Himmel. Jetzt auf dem riesigen italienischen Marktplatz am Abend. Sie singt ihr Kind in den Schlaf. Zu spät bemerken wir, dass wir es sind, das Kind. Schon legt sie uns behutsam in die Wiege, während wir wohlige Momente lang in zirpender Geborgenheit zurückbleiben. Abruptes Ende: Der Übergang von Geräusch zu Stille wirkt exakt wie sein Gegenteil. Es ist halb sieben Uhr früh. Der Wecker klingelt nicht. Luc Ferrari zieht uns lediglich seine Klangdecke weg. Draußen graut der Morgen und zwei Drittel sind um. Die Musikhochschule Lübeck hat sich für ihr 25. Brahms- Festival einen einmaligen Programm(höhe)punkt ausgedacht: 25 Stunden am Stück Wandelkonzert. Höchste Anerkennung für und tiefsten Respekt vor allen Beteiligten! Ein großartiges Erlebnis und ein Genuss, zu lauschen!

Mit einer bissigen postkolonialen Performance begann es gestern und so wird es heute wieder enden. Drittklässler gingen anschließend der Frage nach, ob Musik witzig sein kann und kamen zu dem Schluss, dass wir sie höchstens witzig finden können. Kindermund tut Wahrheit kund. Der
„ganz berühmte Teppichsammler“ Molton Feldman nickte dazu, und lud uns ein, auf einem seiner besonders schönen, eine Stunde vierzig langen Exemplare Platz zu nehmen. Wir verweilten, teilten ihn uns gern mit dem Räuspern der Anderen, mit Martinshörnern und Motoren, die länger oder kürzer blieben, ganz, wie es ihnen gefiel. Der Klangteppich war groß genug für alle und wir waren milde und gast-freundlich gestimmt. Auf ihm schwoben wir noch quer durch die Stadt nach St. Jacobi um dort von langsam aufbrausender Orgelgewalt ausgenüchtert urevangelischhanseatisch zu vespern.

Am Abend dann Garderobe, Platzkarten, Geigen, Publikum davor. In der Pause einen Wein auf Georg Kreisler „Hingegen wenn man kultiviert ist/wie schön in Konzerte zu gehn/ dort zeigt man, wie gut man dressiert ist / & auch sonst gibt es manches zu sehn“. Nachts percussionistischer Live-Techno in der Mensa und im großen Saal grandiose Marathon-Improvisation bis fünf. In a room (Sankt Petri) dann wachschlafendes dahinoszillieren, während Sprache zu Tönen wird. Aus Luc Ferraris musique concréte jäh in die Stille katapultiert sind wir nun fast wieder wach. Doch da di_ _eit nicht st_henblei_t marthalerische Morgengymnastik zum Früh-stück: „Danke für diesen guten Morgen“. Auf diese Weise gelockert sind wir bereit für die meisterlich vorgestümperten 50 Minuten „Beginner´s Mind“, für reichlich Luft an Flöten oder Oboen vorbei und durch sie hindurch und die ulkige Uraufführung um 10 Uhr morgens.

Durch rote Fahnen und „We shall overcome“ auf dem Markt dann übernächtigt gen Behnhaus. Hier der Abschluss der großartigen 25 Stunden Wandelkonzerte – pour les damnés de la terre. „Lunchtime Concert Haydn VI“ ist eine Sternstunde postkolonialer Performancekunst. Nachdem Sabine Fegers und Benjamin Stumpfs Installation „Under Palm Trees VIII“ 2014 zur Regionale 2 am selben Ort bereits die Aufmerksamkeit auf die beiden großen Figuren schwarzer Diener links und rechts der Treppe richtete, geht die Performance-Reihe „Lunchtime Concert Haydn I-VI“ einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie ein hochkulturelles Streichkonzert an diesem Ort stattfinden lässt. Dass dem tatsächlichen Musikstück dabei wie selbstverständlich ein drei Mal längerer musikwissenschaftlicher Vortrag vorausgeht ist nur konsequent. Die Performance legt eindrucksvoll die bürgerlichen und euro-zentrischen Tiefenschichten eines oberflächlich universalisierten Kultur- und Musikbegriffs frei: Zum Finale (Lunchtime Concert Haydn VI) am Tag der Arbeit, passiert hier heute unter den Augen der beiden Behnschen Dienerfiguren die Darbietung des privilegierten weißen Mannes hoher Kultur.

27. Mai 2016: Eröffnung des Deutschen Pavillons auf der Architektur-Biennale in Venedig

Mit einem gekonnten doppelten Schlag macht der Bootsmann am Poller fest. Der Kapitän steuert gegen, knarzend belegt sich das Tau. Das Vaporetto hat angelegt. Schon ergießen sich aus dem übervollen Boot Architekten auf den Ponton der Haltestelle Giardini im Osten Venedigs. Vor dem Eingang des Biennale-Geländes wird noch hektisch mit Einladungskarten gedealt: „Kommt man damit auch ins Arsenale?“ „Habt ihr auch Karten zur Party heute Abend?“. Es geht durch die Sicherheitsschleuse. Mit der Einladung zur Eröffnung des deutschen Pavillons wird man ohne weitere Fragen durchgewunken. Andere müssen ihre ID vorzeigen. Wieder andere kommen gar nicht rein.

Morgen öffnet die Biennale offiziell unter dem Motto „Reporting from the Front“. Passend dazu laufen Soldaten mit Maschinenpistolen im Anschlag über das Gelände und durch die ganze Stadt. Heute eröffnen der Reihe nach die Länderpavillons für geladene Gäste. Das ist nicht viel, so eine Eröffnung. Es sind die üblichen Dankesreden, das obligatorische „Der Pavillon ist eröffnet“ und ein in einer wichtigen Menschentraube verborgener Tisch mit Sektausschank.

So auch beim deutschen Pavillon. „Making Heimat“ sein Motto. Man hat Wände eingerissen und neue Durchgänge geschaffen in dem faschistoklassizistischen Gebäude. Dadurch ergeben sich schöne neue Sichtachsen, und eine Symbolik der Offenheit: „24/7“ will der Pavillon offen sein und damit Deutschland als „Arrival Country“ symbolisieren. Ungewollt schafft das Team der Macher so ein treffendes Bild deutscher Flüchtlingspolitik der letzten Monate: Das offene Haus Deutschland steht in der Gated Community Europa. Giardinis Außengrenzen sind dicht, hinein kommt man nur mit Eintrittskarte und während der Öffnungszeiten. Zumindest aber sterben nicht so viele beim Versuch, trotzdem auf das Gelände zu kommen.

Der deutsche Pavillon orientiert sich an Doug Saunders´ Buch „Arrival City“. Saunders hat in Slums, Favelas und Banlieus an den Rändern der Megastädte weltweit recherchiert. Die Ziele der Zuzügler, Neuankömmlinge und Einwanderer in diese Viertel sind nach Saunders Recherchen überall die gleichen: Arbeit finden, soziale Netzwerke aufbauen, den Kindern eine Zukunft ermöglichen. In „funktionierenden“ Arrival Cities finden sie wichtige Voraussetzungen dafür: Kostengünstigen Wohnraum, kleinteilige Gewerbeflächen, Netzwerke anderer Einwohner der selben Kultur. Diese „Städte in den Städten“, in denen sich die informellen Praktiken oftmals auch der staatlichen Kontrolle entziehen, werden wohl auch deshalb meist als Problemviertel gesehen. Mit seinen acht Thesen zur „Arrival City“ bietet der deutsche Pavillon einen Perspektivwechsel auf die Einwandererviertel der Großstädte an. Wir sehen hier keine Leistungsschau aus der Architektur-Champions-League. Die Arrival City ist nämlich „selbst gebaut“.

Sind die Arrival Cities die Schnittstellen zur Normalisierung in der neuen Umgebung, so sind Erstaufnahmeeinrichtungen die Transiträume, in denen oftmals lange Ungewissheit herrscht, in welche Richtung es weitergeht. Unter www. makingheimat.de hat der Pavillon eine regelmäßig erweiterte, dokumentierende Datenbank von (nicht angezündeten) Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zusammengetragen. Dabei geht es um pragmatische Lösungen und die Herausforderung, schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, jedoch auch die Nachnutzung der so entstehenden Gebäude zu berücksichtigen.

Mit alldem liefert der Pavillon wichtige Denkanstöße, verharrt jedoch auch in der Haltung der Architektur als reagierende Zunft an der Front der oberflächlichen Symptome im bestehenden Rahmen. Der schon in Saunders´ Buch vorherrschende starke Optimismus läuft Gefahr die Arrival Cities zu romantisieren und verstellt den Blick auf die eigentlichen Fragen: Wie ließe sich Fremdenhass und Nationalismus in „arrival country Germany“ begegnen? Wie sähe eine „präventive Architektur“ aus? Warum müssen sich die Leute überhaupt in die Arrival Cities und Countries aufmachen? Welche Rolle spielt die globale Front zwischen arm und reich, zwischen privilegiert und unterprivilegiert? Dem Pavillonkonzept hätte die parallele Lektüre z.B. der Stadtsoziologin Saskia Sassen gutgetan um dem ganzen etwas mehr Tiefe zu verleihen.

Mir wird vor allem das hinkende Symbol des offenen Hauses in der Festung Europa in Erinnerung bleiben. Doch selbst dieses Symbol wird an der Front zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufgerieben: Auf dem Rückweg gegen halb ein Uhr nachts dann an der Grenze bei Kufstein- unser Bus muss anhalten. Das Licht geht an. Drei deutsche Polizisten wecken schlafende Menschen, kontrollieren Pässe und stellen Fragen, wie man sie nach der OP im Aufwachraum stellt: „Können Sie mich verstehen?“, „Where do you come from?“ „Do you understand me?“ „What´s your name?“. Ich denke an den offenen deutschen Pavillon, an Reisefreiheit und Schengen. Plötzlich habe ich ein altes Lied von Tocotronic im Kopf: „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit …“//

3. Juni 2016 NordArt Pre-Opening, Büdelsdorf

„Is that a German shepard?“ fragen meine mongolischen Kollegen. „Yes.”, antwortet lapidar das Herrchen von der Polizei, während sein Hund erwartungsvoll zwischen unseren Taschen hin- und herschnuppert. Wir stehen vor dem Presse-Eingang der Carlshütte in Büdelsdorf. Heute ist die offiielle Vor-Eröffnung der NordArt, doch hinein kommen wir hier erst nachdem der Hund, nennen wir ihn Eduard, seine Suche sichtlich enttäuscht beendet hat: Leider kein Sprengstoff fürs Hundi.

Drinnen dann noch eine Stunde, bis der offizelle Teil beginnt. Das reicht höchstens für einen oberflächlichen Ein-druck dieser einer der größten jährlichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Europa. Und der ist so: Eduard hat seine Sache gut gemacht – in der Ausstellungfindet sich tatsächlich kein bisschen Sprengstoff. Eine hübsch dekorierte alte Industriehalle, bewährter Chinesischer Gigantismus, ein äußerst zahmer Israelischer Länderpavillon. Die zeitgenössische Kunst, so suggeriert die Auswahl der Kuratoren, experimentiert mal ein bisschen, schafft mal schöne Werke, erfüllt brav ihren Selbstzweck und stört sonst nicht weiter. „All art is political“, sagt Ministerpräsident Albig zwar später, nachdem er die internationalen Gäste im „True North“ begrüßte. Das ist selbstverständlich richtig und sagt ebenso viel aus wie die Feststellungen, dass Regierung und Opposition politisch sind oder dass jede Handlung politisch ist, weil sie Strukturen entweder reproduziert oder infrage stellt. Nach insgesamt dreieinhalb Reden in der heißen Halle ist die Ausstellung dann eröffnet. Bei koscheren Häppchen und einem kühlen Getränk noch anregende Gespräche mit einigen anwesenden Künstlern. Bis zum Ende der Ausstellung am 9. Oktober komme ich sicherlich noch öfter her und schaue mir alles nochmal in Ruhe an.