Vor mehr als 60 Jahren entstand die Idee einer „Travelling Library“ nach angelsächsischem Vorbild, die den ländlichen Raum Schleswig-Holsteins mit Lesestoff versorgen sollte. Dort, wo im Zuge der Schulreformen die kleinen örtlichen Buchausleihen aufgelöst wurden, musste Ersatz geschaffen werden. Damit nahm das Fahrbibliothekswesen seinen Anfang. Seitdem hat sich einiges getan. Heute bildet das mobile Angebot einen festen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens – und einen Kulturknotenpunkt für Jung und Alt.
Mit insgesamt 12 Fahrzeugen bilden die Fahrbibliotheken in Schleswig-Holstein heute die größte Fahrbibliotheksflotte in ganz Deutschland. Diese beeindruckende Zahl zeigt, wie umfassend und gut vernetzt das mobile Bibliothekswesen in der Region ist. Jedes Jahr legen die Fahrbibliotheken insgesamt rund 150.000 Kilometer zurück – das entspricht fast vier Weltumrundungen. Diese enorme Reichweite stellt sicher, dass auch entlegene Ortschaften und ländliche Gebiete zuverlässig mit Literatur und Medien versorgt werden.
Die Fahrbibliotheken ermöglichen einen niedrigschwelligen Zugang zu Wissen, Bildung und Kultur abseits der Ballungszentren. Durch seine Ortsnähe ist das Angebot besonders für junge Familien mit Kindern und weniger mobile Bevölkerungsteile, wie z.B. ältere Menschen, attraktiv. Damit tragen die mobilen Bibliotheken aktiv zur Belebung der Dorfkerne bei. Mit dem Ausbau digitaler Angebote und neuer Dienstleistungen reagieren sie auf das veränderte Mediennutzungsverhalten der Menschen. Die Digitalisierung ermöglicht im ländlichen Raum neue Herangehensweisen an das Arbeiten, Lernen und Leben – diesen Prozess begleiten die Fahrbibliotheken aktiv. Ein Schritt auf diesem Weg ist bereits gemacht: Unabhängig von Haltezeiten ermöglichen digitale Services, wie z.B. die Onleihe zwischen den Meeren oder das Hörbuchangebot OverDrive rund um die Uhr Zugriff auf das Angebot der Fahrbibliotheken.
Die rollenden Bibliotheken bereichern außerdem das pädagogische Angebot von Grundschulen und Kindergärten. Bilderbuchkinos, Vorlesestunden, der FerienLeseClub oder Lesungen bleiben im Kopf und fördern die Lese- und Sprachfertigkeiten. Klassenführungen vermitteln wichtige Fähigkeiten im Umgang mit Medien, Informationen und Rechercheaufgaben. Ziel ist es, schon die Kleinsten auf die Medienvielfalt neugierig zu machen.

Historie des Fahrbüchereiwesens in Schleswig-Holstein
Aber zurück zum Anfang: Bis das Angebot in seiner heutigen Form entstand, war es ein weiter Weg. Im September 1962 startete im Kreis Schleswig-Flensburg eine landesweit neuartige Fahrbücherei zu ihrer ersten Ausleihtour. Damals noch mit rund 2.000 Büchern an Bord. Im Landesteil Holstein begann die Fahrbüchereiversorgung ab April 1963 von Rendsburg aus, hier „Überlandbücherei“ genannt.
Der langjährige Direktor der Büchereizentrale Rendsburg, Erik Wilkens, schrieb 1963 zur ersten Überlandbücherei:
„Der Gedanke, wie in Großbritannien und in den USA auch in Schleswig-Holstein Überlandbüchereien einzuführen, ist den Beobachtungen erwachsen, die wir in den letzten Jahren bei den Büchereien der kleinen Gemeinden machten. Die Überlandbücherei unternimmt den Versuch, insbesondere den Bedürfnissen der kleinen Landgemeinden gerecht zu werden und die ländliche Büchereiarbeit dem Strukturwandel des Landes anzupassen.“
Die mobilen Büchereien stellten schon damals ein wichtiges Bindeglied zwischen dem ländlichen Raum und den größeren Städten und Gemeinden mit ihren etablierten Standbüchereien dar. In den folgenden Jahrzehnten entstand nach und nach ein nahezu flächendeckendes Bibliothekssystem in Schleswig-Holstein.

Anders als heute waren in der Anfangszeit Duplico-Wagen unterwegs, deren Wände herausgezogen werden konnten. Auf diese Weise entstand ein Innenraum von 32 qm, sodass nicht von einem Auto gesprochen werden konnte, sondern vielmehr von einer auf Räder gesetzten geräumigen Bücherei. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Fahrzeuge zunächst kleiner und wendiger, bis Mitte der 1970er Jahre erstmals im Kreis Plön eine Fahrbücherei auf einem Busgestell in Betrieb genommen wurde. Damit war der Bücherbus geboren.
Den Anfangsbestand mussten die Teams der Bücherbusse noch sehr gut kennen, einen Zettelkatalog gab es nur in den Magazinen und die Beratung musste ohne Hilfsmittel erfolgen. Gedruckte Auswahlverzeichnisse und Neuerscheinungslisten erleichterten im Laufe der Jahre die Arbeit auf Tour. Die Verbuchung erfolgte händisch mit einem Buchkartensystem, das Rückgabedatum wurde bei jeder Ausleihe hinten ins Buch gestempelt. In den 1990er Jahren zogen die ersten Computer in die Bücherbusse ein und vereinfachten die Verbuchung erheblich. Seit 2022 sind die modernen Fahrzeuge der neuesten Generation mit Terminals ausgestattet, über die die Leserinnen und Leser Ausleihen selbst verbuchen können. Der Medienbestand ist im Laufe der Jahre vielfältiger geworden: Ausleihrenner ist nach wie vor das Buch, egal ob aus Papier oder als E-Book. Die beliebten Videokassetten aus der Anfangszeit wurden dagegen mittlerweile von DVDs und Tonie-Figuren abgelöst. Mit dem Projekt „Mobile Saatgutbibliothek“ kann mittlerweile auch Saatgut in den Fahrbibliotheken entliehen werden.
Seit der letzten großen Softwareumstellung im Jahr 2019 kann man von überall auf der Welt rund um die Uhr im Bestand der Fahrbibliotheken recherchieren, Medien reservieren und verlängern, digitale Medien ausleihen, Anschaffungswünsche äußern und Ausleihen verwalten. Dies ermöglichte in den Zeiten von Zugangsbeschränkungen während der Pandemie die schnelle Einführung von Lieferdiensten, damit niemand auf frischen Lesestoff verzichten musste.
Beispielhafte Zusammenarbeit
Das breite Angebot der mobilen Bibliotheken wie wir es heute kennen ist nur möglich, weil sich im Schnitt 50 Gemeinden zusammenschließen, um gemeinsam eine Fahrbibliothek zu unterhalten – diese Idee, die vor mehr als 60 Jahren entstand, hat sich bis heute bewährt. Im Jahr 2024 steuerten die 12 fahrenden Bibliotheken insgesamt 555 Gemeinden in neun Kreisen an und versorgen im Durchschnitt jeweils 44.000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Die Fahrbibliotheken arbeiten eng zusammen und bilden ein starkes Netzwerk, um ihre Reichweite zu vergrößern. In der Vergangenheit wurden auch kreative Wege der Öffentlichkeitsarbeit genutzt, um mehr Menschen anzusprechen. Ein besonders denkwürdiges Ereignis war der „Bücherzirkus“, der im Mai 1993 unweit der Rendsburger Hochbrücke stattfand. Ziel war es, Fahrbibliotheken und ihre Angebote auf eine neue, unkonventionelle Weise zu präsentieren. Das Event war ein großer Erfolg und ist vielen noch in Erinnerung. Heute finden bundesweit Fahrbibliothekstreffen statt. In Schleswig-Holstein kamen zuletzt 2022 Fahrbüchereien aus Deutschland und dem europäischen Ausland an der Flensburger Hafenspitze zusammen, um der Öffentlichkeit die neuesten Entwicklungen im Fahrbüchereiwesen zu präsentieren und sich fachlich auszutauschen.
Die Unterhaltung der Fahrbibliotheken in Schleswig-Holstein ist ein Beispiel interkommunaler Zusammenarbeit. Diesem in Artikel 13 Abs. 3 der Landesverfassung formulierten Fördergrundsatz des Büchereiwesens wird man heute nicht in allen Kreisen gerecht. Idealerweise bündeln die teilnehmenden Gemeinden, Kreise und der Landesverband Bibliotheken SH ihre Kräfte zur Finanzierung der rollenden Bibliotheken, um den Nutzerinnen und Nutzern eine qualifizierte und attraktive Medienversorgung zu bieten. Der Gemeindeanteil bemisst sich nach der Einwohnerzahl. Bibliotheken SH bezuschusst als Träger und Verwalter 35 Prozent der Kosten. Die Koordinierung durch Bibliotheken SH vereinfacht den kreisübergreifenden Einsatz der Fahrzeuge. Darüber hinaus unterstützt Bibliotheken SH die Fahrbibliotheken mit Vertretungspersonal, in der Fahrzeugtechnik sowie in der Haushaltsverwaltung.
Fahrbibliothek als rollender Dritter Ort
Die Fahrbibliotheken in Schleswig-Holstein befinden sich derzeit in einem Transformationsprozess, der eingeleitet wurde durch ein Pilotprojekt von Bibliotheken SH, das in den Fahrbibliotheken im Kreis Rendsburg-Eckernförde umgesetzt wurde. Dabei wurde erprobt, das Konzept des sogenannten „Dritten Ortes“, der mit einer hohen Aufenthaltsqualität ein Lern- und Begegnungsort für alle Bürgerinnen und Bürger ist und bislang nur an festen Standpunkten realisiert wurde, auf die Fahrbibliotheken in Schleswig-Holstein zu übertragen. Ziel war es, die Sichtbarkeit der mobilen Bibliothek in den Gemeinden auch außerhalb der Haltezeiten zu erhöhen, die Alltagskultur mit einem vielfältigen Medien- und Informationsangebot zu bereichern und die Ortskerne zu beleben. Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Kooperation mit MarktTreffs, Volkshochschulen und anderen lokalen Partnern werden in die Fahrbibliotheksarbeit der nächsten Jahre einfließen.
Ausblick
Die Zukunftsideen reichen von der Einrichtung von Abholstationen und Rückgabemöglichkeiten über die Aufstellung von Medientankstellen in mehreren Gemeinden bis hin zu einer Fahrbibliothek, die als offene Bibliothek über die regulären Öffnungszeiten hinaus genutzt werden kann. Neue Fahrplanrhythmen könnten die Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten intensivieren und Raum bieten für weitere wichtige Angebote in der Lese- und Sprachförderung sowie der Informations- und Recherchekompetenzvermittlung. Denn eines hat sich auch in mehr als 60 Jahren nicht geändert: Die Fahrbibliotheken waren und sind ein Garant für qualifizierte Bibliotheksangebote, kulturelle Vielfalt und Chancengleichheit im ländlichen Raum.