Ende der 1990er Jahre plante der Geesthachter Verein „Partnerschaft Afrika“ sein erstes Wiederaufforstungsprojekt in Mali. An der Umsetzung beteiligten sich im Jahre 2000 zwei Vereinsmitglieder aktiv und reisten ins Zentrum des Landes, was damals noch möglich war. Persönliche Erfahrung vor Ort gepaart mit einem Monitoring über ein Vierteljahrhundert ergeben ein uneinheitliches Bild auf Projekte und deren abschließende Bewertung: Vieles ist eine Frage des Zeitraums.
Weg ist er! Verschwunden! Wie vom Erdboden verschluckt! Eben lief Dietrich Anders, mein Reisepartner nach Mali, noch dicht hinter mir. Dietrich, der Reiseplanungs-Champion, hatte alles minutiös vorbereitet. Er kannte jedes Detail, hatte alle nötigen Kontakte geknüpft und sogar die Windkraftanlage gekauft, die wir für unser Wiederaufforstungsprojekt in Mali aufstellen wollten. Mittlerweile hatte eine Spedition die Einzelteile der Windkraftanlage in Kisten von Europa bis südlich von Sévaré in Mali gebracht. Alles war bereit für den großen Aufbau. Und jetzt? Jetzt fehlt der klügere Kopf unseres Duos spurlos! Ich stehe da wie bestellt und nicht abgeholt, besonders, weil ich später erklären muss, dass ich meinen Reisepartner auf dem Flughafen von Brüssel verloren habe!
Während ich mir noch ausmale, wie ich alleine durch die Savanne irre, taucht Dietrich lachend aus einer anderen Richtung auf. Er hatte eine „geniale“ Abkürzung zum Gate nehmen wollen, war dabei aber in einem Sicherheitsbereich gelandet und musste die Sicherheitskontrolle ein zweites Mal passieren. Meine Erleichterung war so groß wie mein Vorsatz, ihn in Zukunft nicht mehr aus den Augen zu lassen. Gemeinsam schlenderten wir entspannt zum Gate und der Flieger nach Bamako konnte starten.
Der Millenniumsplan
Schon zum Ende des vergangenen Jahrhunderts reifte beim Geesthachter Verein „Partnerschaft Afrika“ die Idee, ein Aufforstungsprojekt in Mali zu betreiben. Die positiven Wirkungen eines Waldes waren bekannt: Holzgewinnung, verbessertes Mikroklima, Ernte von Baumfrüchten, Schatten spenden und Feuchtigkeit binden. Die Partner*innen in Mali fanden in der Nähe des Dorfes Sirakoro ein geeignetes Areal. In der Vergangenheit sollen dort einmal Bäume gestanden haben. Jetzt war die Fläche kahl, trocken und der Boden hart wie Beton. Die leicht abschüssige Fläche von etwa 32 Hektar war im Besitz der Gemeinde. Diese stellte das Gelände nicht nur zur Verfügung, sondern bot auch die Mithilfe der Dorfbevölkerung beim Pflanzen an. Da im Zentrum Malis Baumsetzlinge eine künstliche Bewässerung in den ersten Jahren benötigen, entstand der Entschluss, einen konventionellen Schöpfbrunnen sowie eine Tiefbohrung anzulegen. Das benötigte Wasser sollte aus der Tiefbohrung mit einer Gleichstrompumpe an die Oberfläche gepumpt werden. Die dazu nötige Leistung wird eine Windkraftanlage als Alternative zur Photovoltaik erzeugen – ein solches System ist weniger diebstahlsgefährdet. Einen Hersteller für diese im Vergleich zu den uns heute bekannten Windrädern kleine Anlage fanden wir in den Niederlanden. Jetzt mussten nur zwei Personen nach Mali reisen, um die Anlage aufzubauen. Diese Aufgabe übernahmen der schon erwähnte Dietrich Anders und der Verfasser dieser Zeilen, Dirk Steglich, im Januar 2000. Gemeinsam konnten wir alle Teile richtig zusammensetzen und den etwa zwölf Meter hohen Pfahl aufrichten. Es war ein bewegender Augenblick, als bei einer leichten Brise das erste Wasser aus der Pumpe in die Gräben mit den jungen Pflanzen floss.
Wasserpumpen mithilfe regenerativer Energie praktisch zum Nulltarif! Wir waren begeistert und stolz, dies geleistet zu haben. Technik, die begeistert Natürlich wollten wir im weiteren Verlauf des Jahres erfahren, wie sich das Projekt nach unserer grandiosen Installationsarbeit weiterentwickelt hat. Schließlich war geplant, im darauffolgenden Jahr das Gelände zu erweitern: Nicht alle Setzlinge konnten im ersten Jahr gepflanzt werden. Im zweiten Jahr sollten weitere Setzlinge aus benachbarten Baumschulen gekauft und verpflanzt werden. Unser Interesse galt auch der Pumpe und dem Windrad – und wie diese funktionierten. Auf diese Frage bekamen wir allerdings eine beunruhigende Antwort: Die Pumpe laufe nicht! Das bedeutete, dass kein Wasser gepumpt wurde – tödlich für Setzlinge in der Trockenheit. Unsere Versuche, per Ferndiagnose eine Idee zur Reparatur zu entwickeln, scheiterten. Lag es am Gleichrichter? Lag es an der Pumpe in der Tiefbohrung? Oder war der Generator defekt? Die Antworten waren zu ungenau, um etwas daraus ableiten zu können. Wir kauften auf Verdacht eine neue Gleichstrompumpe und schickten sie nach Mali. Zwischenzeitlich soll das System wieder funktioniert haben, aber trotzdem wurde häufig der Schöpfbrunnen zur Bewässerung genutzt – mit einer dieselbetriebenen Motorpumpe! Es war frustrierend zu bemerken, dass sich unsere Vision einer nachhaltigen Wasserförderung ins Gegenteil verkehrt hat. Schlimmer noch: Unsere Partner*innen vor Ort und die Dorfbevölkerung mussten jetzt die Suppe auslöffeln.
In den folgenden Jahren konnte das Projekt mithilfe der sich schnell entwickelnden Satellitenbild-Abdeckung „von oben“ per Google Earth bestaunt werden: Kleine grüne Kreise in Reihen, umgeben von rotbraunem Nichts. Gut, in manchen Aufnahmen waren die Kreise auch grau – je nachdem, wann die Aufnahme gemacht wurde. Google hat offensichtlich die Bilddaten häufig aktualisiert. Während mehrerer Projektbesuche haben sich Vereinsmitglieder auch die Aufforstung angeschaut. Sie berichteten von hohem Gras unter den wachsenden Bäumen, von wild lebenden Kleintieren im Areal und Heugewinnung für die Rinder der Peuhl. Wir waren wieder versöhnt mit der Situation. Das Statement der Partner*innen vor Ort „le projet marche bien“ schien zutreffend. In den folgenden Jahren wählten wir – wo immer möglich – die „low tech“-Variante für andere Projekte: Schöpfbrunnen anstelle von PV-Anlagen für Gärten, rein mechanische Pumpsysteme für Wiederaufforstungsprojekte weiter im Norden des Landes (wohin seit 2015 niemand mehr fahren kann). Jahre vergingen. Die Aufforstung in Sirakoro war ein erfolgreiches Projekt. Jedenfalls in unserer Wahrnehmung. Zurück auf Los … Nostalgie hat etwas Rührendes: Warum sonst spielen Menschen Monopoly, hören Musik der Bee Gees oder schauen sich alte Fotos an? Ein bisschen melancholisch, ein bisschen träumen, ein bisschen Erinnerung? Beim Betrachten der Bilder fällt einem ein: Hier gilt es nachzuhaken – das Internet weiß ja alles! So kam es, dass wir 2020 große Augen beim Betrachten der Aufnahmen bei Google Earth bekamen: Die Fläche erschien teilweise kahl! Die Rückfrage bei den Partner*innen ergab das übliche „tous les projets marchent bien“. „Gut“ mag Ansichtssache sein, aber hier waren Zweifel angebracht. So baten wir beim nächsten Besuch in dieser Region, Bilder zu machen und uns zu schicken. Das geschah umgehend, und es brachte das befürchtete Ergebnis. Die Bäume waren zum Teil abgeholzt. 20 Jahre nach dem Unterschreiben der Abmachung über nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes hat sich das Dorf entschieden, hier „Kasse“ zu machen. Die damals Verantwortlichen waren verstorben, die wirtschaftliche Not in Mali hatte sich verschärft. Es mag noch weitere Gründe gegeben haben, das Resultat war allerdings unumkehrbar. Sieht so ein erfolgreiches Projekt aus?
In der anschließenden Diskussion im Verein wurde schnell klar, dass ein Ignorieren der Zerstörung keine Lösung ist. Hatten wir unsere Partner*innen vor Ort genug mit eingebunden oder war es zu sehr ein Projekt von außen? In Konsequenz nahmen wir wieder Geld in die Hand und begannen von vorne: Gespräche mit den Verantwortlichen im Dorf, Planung der Restauration (inklusive Bau eines neuen Zauns), diesmal die Anschaffung einer PV-Anlage zum Pumpen, ein Esel zum Ziehen eines Wasserkarrens und natürlich Pflanzungen von diversen Bäumen und Sträuchern. Wir nannten dieses Projekt „Aufforstung in Sirakoro 2.0“. Parallelen zu einem aktuellen Projekt des BEI sind natürlich rein zufällig. Ende 2023 war es dann vollbracht: 3.500 neue Setzlinge gepflanzt, die Bewässerung funktioniert (noch?), das Areal ist nun vermessen und ein Antrag auf Aufnahme in die Liste der Naturschutzgebiete Malis ist gestellt. Die Bilderstrecke ist auf unserer Website zu finden. Wie lange werden die Bäume diesmal wachsen können? Epilog Wiederaufforstungsprojekte sind jetzt so hip wie Avocado-Toast. Der globale Norden mag dem Irrtum aufsitzen, dass die Schaffung von Wald im Süden unseren CO2-Ausstoß kompensieren kann. Dies war und ist nie der Gedanke hinter den Projekten von „Partnerschaft Afrika“ gewesen: Hier sollte es primär um einkommensschaffende Maßnahmen, Produktion von Brennholz und Baumfrüchten, Wasserspeicherung sowie die Verbesserung des Mikroklimas gehen. Unabhängig von Ziel und Schwerpunkt wünschen wir uns, dass am Ende ein Projekt seine Wirkung entfaltet. Um dies zu prüfen – oder besser gesagt „zu bestätigen“? – werden Evaluationen durchgeführt. Diese sind typischerweise Teil des Projekts und stehen an dessen zeitlichem Ende. Nach positiver Evaluation schließen nicht nur wir die Akten, sondern auch die Partner*innen im Süden. Das ist gewollt, denn die Bevölkerung soll ja zukünftig in eigener Verantwortung handeln, ohne Projektpolizei im Nacken. Hier kann viel schieflaufen, ausgebuffte Profis wissen dies. Im beschriebenen Fall wurde entschieden, nicht wegzuschauen, sondern ein weiteres Mal dasselbe Dorf zu unterstützen. Nachhaltigkeit 2.0 sozusagen. War das klug? Fragen wir uns in 25 Jahren nochmal – dann ist goldene Hochzeit!
Brücken bauen – 30 Jahre Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein
Thema VIII, in Kooperation mit dem Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e. V.. 196 Seiten.