Seit 2023 ist Nicola Jones Standortleiterin der MOIN Filmförderung für Schleswig-Holstein und in der Filmwerkstatt zuständig für den Bereich Kurzfilm und immersive Medien. Mit ihrer vielfältigen Erfahrung aus Festivalarbeit, Förderpraxis und Filmwirtschaft bringt sie nicht nur Netzwerke, sondern auch frischen Wind nach Schleswig-Holstein. Im Gespräch wird schnell klar: Diese Position ist für sie mehr als ein Job. Ein Dialog über die Kraft filmischer Denk- und Möglichkeitsräume, das Prinzip „Komplizenschaft“ und die Frage, warum Weite manchmal mehr beflügelt als Dichte.
Nicola, du bist seit gut zwei Jahren in Kiel tätig – als Standortleiterin der Filmwerkstatt und verantwortlich für Kurzfilm und immersive Medien bei der MOIN-Filmförderung. Lass uns am Anfang kurz zurückspringen: Wie kam es dazu, dass du diesen Weg eingeschlagen hast?
Ich war zuvor sechs Jahre lang Festivalleiterin des Deutschen Kinder-Medien-Festivals Goldener Spatz. Das war eine wunderbare Aufgabe, die mir eine neue Perspektive auf den Kinderfilm eröffnet hat. Gleichzeitig habe ich dort gelernt, wie wertvoll Netzwerkarbeit und programmatisches Denken sind – gerade wenn es darum geht, Räume für Nachwuchs und Innovation zu schaffen. Irgendwann hatte ich jedoch das Gefühl: Ich möchte diese Erfahrungen in einem anderen Rahmen einsetzen, mich weiterentwickeln, aber nicht ganz von der Branche lösen.
Meine Wurzeln liegen ohnehin hier oben im Norden. Ich habe in Neumünster Abitur gemacht. Obwohl ich viel umgezogen bin, war Schleswig-Holstein immer ein Teil meines Lebens. Und als dann diese Stelle ausgeschrieben war, dachte ich: Das ist eine Konstellation, die selten kommt. Sie vereint viele meiner Kompetenzen – Netzwerkarbeit, Programmgestaltung, Förderpraxis – und verankert sie in einer Region, zu der ich ohnehin einen persönlichen Bezug habe.
Das klingt fast so, als habe sich der Ort selbst gemeldet?
Ja, vielleicht ein bisschen. Es war jedenfalls ein sehr stimmiger Moment. Ich wusste, dass ich Lust hatte, mitzugestalten. Und zwar nicht irgendwo, sondern an einem Ort, der mir vertraut ist – und der zugleich eine Menge Entwicklungsspielraum bietet.
Du hast gerade deine Zeit beim Goldenen Spatz erwähnt – davor warst du bereits in der Filmförderung aktiv, bei der FFA in Berlin. Welche Rolle spielt diese Erfahrung heute?
Eine sehr große. Ich habe bei der Filmförderungsanstalt als Förderreferentin angefangen und war später Referentin des Vorstands. Das war eine Phase, in der ich viele Einblicke bekommen habe – sowohl in die institutionellen Abläufe als auch in die europäische Perspektive. Ich habe Netzwerktreffen organisiert, mich mit Filmpolitik beschäftigt, internationale Kooperationen begleitet. Das war sehr horizonterweiternd.
Und davor, ganz zu Beginn, habe ich bei PricewaterhouseCoopers (PwC) gearbeitet – eine eher trockene, aber sehr lehrreiche Phase. Ich war dort zuständig für Vertragsprüfung, Verwendungsnachweise, Kalkulationen – das ganze Handwerkszeug der Filmförderung. Auch wenn das nicht romantisch klingt: Es war extrem hilfreich. Man lernt, wie ein Projekt konstruiert ist, wo Risiken lauern, wie realistische Budgets aussehen. All das hilft mir bis heute.
Heute arbeitest du wieder an einer Schnittstelle – zwischen Kreativen, Förderinstitutionen und politischen Rahmenbedingungen. Was bedeutet dir diese Rolle?
Ich mag diese Vermittlungsrolle sehr. Mir ist wichtig, dass wir als Förderinstitution nicht als reine Antragsstelle wahrgenommen werden, sondern als Ermöglicherin. Als jemand, der Impulse gibt, Fragen stellt, unterstützt, aber auch strukturell denkt. Gerade in einer Region wie Schleswig-Holstein ist das essenziell. Hier geht es nicht nur um Einzelprojekte, sondern auch darum, Infrastruktur zu stärken, langfristige Perspektiven zu schaffen.
Lass uns über deine konkrete Aufgabe sprechen: Du leitest die Filmwerkstatt in Kiel und betreust im Rahmen der MOIN Filmförderung den Bereich Kurzfilm und immersive Medien. Was umfasst das genau?
Das ist tatsächlich ein sehr vielschichtiges Feld. Die Filmwerkstatt ist ein Ort für Beratung, Entwicklung, manchmal auch Begegnung – wir begleiten Projekte von der Idee bis zur Antragstellung und manchmal sogar darüber hinaus. Das betrifft sowohl den klassischen Kurzfilm als auch neue Formate im Bereich XR – also Virtual, Augmented und Mixed Reality. In diesen Bereichen denken wir sehr stark in künstlerischen, erzählerischen Kategorien. Es geht um Geschichten, um Perspektiven, um mediale Formen, die neu sind, herausfordern, überraschen.
Gibt es einen Moment oder ein Projekt, bei dem du gedacht hast: Ja, genau darum geht es hier?
Tatsächlich gab es mehrere. Was mich immer wieder beeindruckt, ist die Vielfalt der Perspektiven, die hier zusammenkommen – von jungen Filmschaffenden, die vielleicht gerade aus dem Studium kommen, bis hin zu Künstler*innen, die neue narrative Wege suchen. Das Projekt „Unhome“ im Bereich immersiver Medien hat mich zum Beispiel besonders bewegt: Es geht um das Thema Obdachlosigkeit, erzählt aus der Sicht einer betroffenen Person, umgesetzt als VR-Erfahrung. Das ist formal experimentell, inhaltlich berührend und hat mir erneut gezeigt, was für ein Potenzial in diesen Formaten steckt – auch im gesellschaftlichen Diskurs.
441
geförderte Drehtage
zählte MOIN 2024 –
darunter 62 in
Schleswig-Holstein.
Ein Begriff, der im Zusammenhang mit eurem Innovationsansatz häufig fällt, ist „Nest“. Was hat es damit auf sich – und was unterscheidet es von klassischen Förderprogrammen?
Nest steht für „New Endeavors in Storytelling“ – und der Name ist durchaus wörtlich zu nehmen: Es geht um das frühe Stadium von Ideen, die gerade erst schlüpfen. Die Bewerbungsphase ist bewusst niedrigschwellig gehalten: Ein kurzes Konzept, ein dreiminütiges Video, ein paar Gedanken zur Zielgruppe – mehr braucht es zunächst nicht. Denn was uns interessiert, ist das Potenzial: Hat die Idee narrative Tiefe? Lässt sich etwas daraus entwickeln? Ist da ein neuer Blick, eine originäre Form?
Und was passiert mit den ausgewählten Projekten?
Sie durchlaufen einen fünftägigen Workshop, den sogenannten „Nest Space“. Das ist ein geschützter Raum, in dem gemeinsam gedacht, ausprobiert, auch verworfen wird. Die Besonderheit: Es geht nicht um Einzelberatung, sondern um kollektive Entwicklung. Die Teilnehmenden arbeiten nicht nur an ihren eigenen Projekten, sondern auch an denen der anderen. So entsteht ein sehr intensives, oft überraschendes Miteinander – eine kreative Allianz, die im besten Fall auch nach dem Workshop weiterwirkt.
Klingt nach einem starken Gemeinschaftsaspekt. Ist das ein bewusst gesetztes Gegengewicht zur klassischen Projektlogik?
Ja, absolut. Wir verstehen Förderung nicht als linearen Weg von Antrag zu Geld zu Produkt, sondern als Teil eines Prozesses. Nest ist für uns ein Denkraum. Und Denk- oder Möglichkeitsräume brauchen Vertrauen, Offenheit, auch Ambivalenz. Deshalb spielt die Gruppe eine so zentrale Rolle. Wir sprechen auch gerne von „Komplizenschaft“ – also einem Bündnis auf Zeit, das nicht auf Konkurrenz, sondern auf Resonanz setzt.
Sechs Geldquellen
speisen die MOIN Filmförderung:
Hamburg (14,5 Mio. €)
Medienstaatsvertrag (2,5 Mio. €)
SH, NDR, ZDF (je 1,2 Mio. €)
Rückflüsse & Rückgaben (1,8 Mio. €).
Wie reagieren Antragsteller*innen auf dieses Format? Es ist ja deutlich experimenteller als andere Programme.
Das stimmt – und genau das wird sehr geschätzt. Viele erleben zum ersten Mal, dass es okay ist, eine Idee noch nicht zu Ende gedacht zu haben. Dass Fragen erlaubt sind. Dass Scheitern dazugehört. Und auch wir als Institution lernen viel: über neue Stoffe, über andere Formen des Erzählens, über sich wandelnde Erwartungen an Förderung. Nest ist kein abgeschlossenes Format, sondern eine lebendige Struktur, die sich mit jeder Runde weiterentwickelt.
Das Ganze findet in Schleswig-Holstein statt – auch das ist kein Zufall, oder?
Nein. Die Wahl des Ortes ist bewusst: Hier gibt es die Weite, das Meer, die Luft, um frei zu denken. Das ist kein romantischer Nebenaspekt, sondern ein realer Faktor. Viele Teilnehmende sagen uns, dass sie hier in einer ganz anderen Frequenz arbeiten als in der Großstadt. Man ist raus aus der Taktung, aus dem Projektstress – und das verändert die Gespräche, das Tempo, die Tiefe.
MOIN fördert ja nicht nur in Kiel, sondern in der gesamten Region. Wie ist die Förderstruktur aufgebaut – und was unterscheidet sie von anderen Modellen?
Die MOIN Filmförderung ist eine gemeinsame Einrichtung der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein. Wir decken die gesamte Produktionskette ab: von der ersten Idee über Drehbuchentwicklung, Vorproduktion, Dreh, Postproduktion bis hin zu Verleih und Kinoförderung. Dabei fördern wir unterschiedliche Gattungen – von Dokumentarfilm über Spielfilm und Serien bis zu Animation und natürlich Kurzfilm. Besonders wichtig ist uns der Innovationsbereich, also neue narrative Formen und medienübergreifende Konzepte.
Zudem haben wir einen klaren Fokus auf Regionaleffekte: Wir wollen, dass die Mittel, die wir vergeben, auch in der Region wirken. Das heißt konkret: Wer Förderung erhält, muss nachweisen, wie das Projekt in Hamburg und Schleswig-Holstein verankert ist – sei es über Partner, Drehorte oder thematische Bezüge. Der Effekt ist messbar: Allein im vergangenen Jahr investierten die Filmteams für jeden Förder-Euro rund 3,15 Euro zurück in die Region.
Förderung klingt oft nach klaren Prozessen und festen Kriterien. Aber wie viel Raum bleibt eigentlich für das Unerwartete, das Ungewöhnliche?
Das ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen – und gleichzeitig eine unserer wichtigsten Aufgaben. Natürlich haben wir Kriterien: Regionaleffekte, Erzählqualität, Umsetzbarkeit. Aber gerade im Bereich Innovation bewegen wir uns oft an der Grenze dessen, was sich in klassische Raster pressen lässt. Ein Projekt, das sich zwischen Installation, Theater und Film bewegt, lässt sich schwer einordnen – und genau deshalb ist es spannend. Die Gremien müssen sich immer wieder die Frage stellen: Passt das zu unserem Profil? Wollen wir das möglich machen? Es gibt da kein Schwarz-Weiß, sondern viel Diskurs. Und ja, auch ein bisschen Trial and Error.
Wie geht ihr mit Projekten um, die nicht gefördert werden können – obwohl sie vielleicht künstlerisch stark sind?
Das passiert natürlich. Und das ist nie leicht – für Antragsteller*innen nicht, aber auch für uns nicht. Uns ist wichtig, dass eine Ablehnung nicht das Ende eines Dialogs ist. Wir bieten Gespräche an, versuchen, Rückmeldung zu geben, auch alternative Wege aufzuzeigen. Und manchmal kommt ein Projekt in veränderter Form später wieder – gereift, geschärft, besser vorbereitet. Es geht darum, Potenziale zu erkennen, aber auch ehrlich zu kommunizieren, wenn etwas (noch) nicht passt. Und das möglichst konstruktiv.
Lass uns noch einmal zurück auf den Standort Schleswig-Holstein schauen. Wie würdest du die Szene im Land charakterisieren?
Schleswig-Holstein ist ein Flächenland – das heißt: viele Orte, viel Abstand, aber auch viele Initiativen. In Kiel, Flensburg, Lübeck gibt es jeweils aktive Gruppen, Stammtische, Netzwerke. Es gibt junge Menschen, die aus Studiengängen kommen, etwa aus dem Bereich Film und Media Arts oder Multimedia Production, und gezielt in den Film wollen. Und es gibt engagierte Strukturen wie den Kinoverbund SH, die Kinoabo-Initiative Cinfinity oder den Verein Filmkultur, der hier lange kulturelle Filmförderung gemacht hat und heute wichtige Impulse setzt. Auch der Scheersberg spielt eine ganz wichtige Rolle. In der internationalen Bildungsstätte gibt es Förderungen für junge Filmschaffende, auch Workshops, in denen erste Projekte entstehen. Viele, die später bei uns Förderung beantragen, haben dort ihre ersten Erfahrungen gesammelt.
12,1 Mio. €
Fördervolumen wurden 2024
insgesamt ausgeschüttet –
für Produktion, Verleih, Kino,
Ausbildung, Innovation.
Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Szene oder ist das eher ein loses Nebeneinander?
Beides. Es gibt Austausch, aber noch viel Potenzial, das Netzwerk enger zu knüpfen. Das ist auch unsere Aufgabe als Filmwerkstatt: Räume zu schaffen, in denen Begegnung stattfinden kann – etwa durch Veranstaltungen, aber auch ganz informell durch Gespräch und Begleitung. Die Leute kennen sich oft nicht, obwohl sie dieselben Fragen haben. Wir versuchen, diese Fäden zusammenzubringen.
Ein Baustein dabei sind sicherlich auch die Festivals im Land. Welche Rolle spielen sie für die Filmszene – jenseits der reinen Rezeption?
Eine zentrale. Festivals sind nicht nur Schaufenster, sondern auch Treffpunkt. In Schleswig-Holstein haben wir eine beeindruckende Dichte: die Flensburger Kurzfilmtage, das Filmfest Schleswig-Holstein, Green Screen in Eckernförde und natürlich die Nordischen Filmtage in Lübeck – um nur einige zu nennen. Jedes dieser Festivals hat ein eigenes Profil, eigene Schwerpunkte, eigene Communities. Und überall entstehen Kontakte, Ideen, neue Kooperationen.
Welche Chancen haben junge Menschen hier, wenn sie in die Filmbranche einsteigen wollen?
Schleswig-Holstein bietet mehr Möglichkeiten, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten würde. Die Filmszene ist zwar kleiner als in Hamburg – dafür aber sehr lebendig: Die vielen engagierten Einzelakteur*innen, Netzwerke und Initiativen machen den Einstieg oft persönlicher und unmittelbarer. Es gibt schneller direkte Kontakte, weniger Hürden – und viel Raum für Eigeninitiative. Bemerkenswert ist zudem, wie viele Talente aus Schleswig-Holstein stammen, die inzwischen bundesweit oder international arbeiten und trotzdem bewusst den Kontakt zur Region halten. Menschen wie der Regisseur Lars Jessen, der Autor Martin Rehbock oder die Nachwuchsfilmemacherin Hilke Rönnfeldt, die vor allem im skandinavischen Raum tätig ist, engagieren sich weiterhin hier: als Mentor*innen, in Jurys oder durch Workshops.
Genau hier setzt auch unser neues „MOIN Talent“-Programm an: Erfahrenen Filmschaffende begleiten junge, aufstrebende Filmemacherinnen bei der Entwicklung erster Projekte und unterstützen sie beim Einstieg in die Branche. Diese Rückkopplung ist enorm wertvoll – fachlich wie emotional. Sie zeigt: Eine Herkunft aus Schleswig-Holstein ist kein Nachteil, sondern ein starker Identitätsanker in einer mobilen Branche.
Deshalb versuchen wir, frühzeitig Netzwerke zu knüpfen und jungen Menschen zu vermitteln: Ihr könnt auch mit Schleswig-Holstein als Basis im Film Fuß fassen.
30,6 Mio. €
Regionaleffekt wurden 2024 generiert –
also wirtschaftlicher Rückfluss durch Dreharbeiten,
Hotelübernachtungen, Technik etc.
2,8 Mio €
davon entfielen 2024 auf Schleswig-Holstein –
durch Projekte wie Yunan oder Porzellan
Wie stark ist der Austausch mit Hamburg – und wo liegen die Unterschiede?
Hamburg ist als Stadtstaat ein ganz anderes Umfeld: dichter, urbaner, mit größerer Industriepräsenz. Aber gerade deshalb ist die Zusammenarbeit so wertvoll. Wir denken MOIN als gemeinsame Förderstruktur, auch wenn wir auf zwei Standorte verteilt sind. Der Austausch ist intensiv – sei es in gemeinsamen Gremien, bei Projekten oder durch gegenseitige Beratung. Das funktioniert gut, weil wir eine gemeinsame Haltung teilen: Förderung als Ermöglichung.
Wenn du auf die kommenden Jahre blickst: Welche Themen stehen für dich im Fokus?
Ganz oben steht für mich die Weiterentwicklung der Filmwerkstatt – als physischer Ort, aber auch als Haltung. Ich wünsche mir, dass wir noch stärker als Anlaufstelle wahrgenommen werden: für Fragen, für Inspiration, für Austausch. Gleichzeitig möchte ich die Förderstrukturen weiter öffnen – für neue Formate, neue Perspektiven, neue Stimmen. Es geht nicht nur darum, was erzählt wird, sondern auch: wer erzählt und wie.
Und was wünschst du dir von der Szene selbst?
Mut, Lust, Neugier. Und den Willen, sich zu vernetzen. Viele gute Ideen entstehen im Gespräch – und genau dafür schaffen wir die Räume.
Liebe Nicola, vielen Dank für das Gespräch.