Zum Werk des Bildhauers Emil Jensen

Emil Jensen in seinem Atelier

Emil Jensen im Starnberger Atelier mit der Skulptur „Das große Leid“, die die Zerstörung seines Hamburger Ateliers im Ohlendorff-Palais durch einen Bombenangriff im Juli 1943 unbeschadet überstanden hat.

Trotz seines früh erkannten Talents wurde der 1888 in Tondern geborene Bildhauer Emil Rasmus Jensen kaum über Schleswig-Holstein und Hamburg hinaus bekannt. Das lag sicherlich auch an seiner körperlichen Beeinträchtigung. Heute ist es schwierig, von seinem vor 1943 entstandenen Lebenswerk ein ausreichend vollständiges Bild zu gewinnen, da dessen größerer Teil im Bombenangriff auf Hamburg zerstört wurde. So viel lässt sich aber sagen: Emil Rasmus Jensen schuf ein beeindruckendes Werk.

Zur Geschichte der Bildhauerei in Norddeutschland

Über der seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebendigen norddeutschen Bildhauerei wird gern vergessen, dass diese Kunst seit ihrer Blüte während der Spätgotik und der Dürerzeit für mehrere Jahrhunderte stagnierte. Sie gelangte in Renaissance und Barock kaum über eine handwerkliche Qualität hinaus.

Für bedeutendere Aufgaben mussten auswärtige Künstler gewonnen werden, im 19. Jahrhundert etwa niederländische für den Gottorfer Hof. Als mit Bertel Thorvaldsen die nordeuropäische Bildhauerei um 1800 wieder an Bedeutung gewann, blieb ihre Wirksamkeit weitgehend auf Rom beschränkt. An ihr partizipierten nur Kopenhagen und einige an der dänischen Regierung beteiligte Minister Schleswig-Holsteins.

Im 19. Jahrhundert änderte sich an dieser Situation nur wenig, auch nicht nach 1900, da 1910 die beiden jüngeren, aus Schleswig-Holstein stammenden Talente das Land verließen: den Husumer Adolf Brütt zog es nach seinem Studium in Berlin dorthin, Ernst Barlach wechselte von Wedel nach Güstrow. Die Gründe hierfür lassen sich kaum erhärten, doch steht zu vermuten, dass beide Bildhauer zu Hause kein ihrer Arbeit günstiges Umfeld fanden. Fast gleichzeitig wurde der später für den deutschen Norden wichtig werdende Bernhard Hoetger nach Darmstadt berufen. In Norddeutschland blieb für die Bildhauerei ein Vakuum bestehen.

Die für die künstlerische Ausbildung der jungen Generation nach 1900 Verantwortlichen konnten mithin kaum fähige Lehrer aus Hamburg oder Schleswig-Holstein gewinnen; sie mussten sich, wenn sie regional und überregional etwas bewirken wollten, anderswo umschauen. So kam es 1907 zur Berufung des Schweizers Johann Michael Bossard und des Wieners Richard Luksch an die Hamburger Kunstgewerbe-Schule. Aus den Klassen beider Bildhauer kamen jüngere, zukünftige Talente, aus der Luksch-Klasse etwa Hans Martin Ruwoldt, aus der Klasse Bossard u. a. Emil Jensen und Karl Hartung. Seit den 1920er und 1930er Jahren prägten aus diesen Klassen kommende Künstler die norddeutsche Bildhauerei, vor allem in Hamburg sowie, durch Hoetger bestimmt, in Bremen.

Die Wiederbelebung der Norddeutschen Bildhauerei

Zu den wenigen jungen Bildhauern, die nach dem ersten Weltkrieg die norddeutsche Bildhauerei wieder belebten, gehörte der 1888 im damals deutschen Tondern geborene Emil Jensen, dessen Beitrag zu ihr es wieder zu entdecken und würdigen gilt. Er war in seinem Metier vor seinem Studium in der Flensburger kunstgewerblichen Fachschule durch den Bildhauer Heinz Weddig im Holzschnitzen ausgebildet worden. 1922 wurde er dank seines sich beweisenden Talents in die Bossard-Klasse der Hamburger Kunstschule aufgenommen; es lag danach für ihn nahe, in Hamburg ein Atelier zu beziehen, das er bis zu dessen Kriegszerstörung im Jahr 1943 besaß.

Emil Jensen: Beethoven

Sein Lebenswerk steht den etwas älteren Zeitgenossen nahe: Georg Kolbe (geb. 1877), Karl Albiker (geb. 1878) und Richard Scheibe (geb. 1879), doch bestimmen einige seiner Figuren auch dramatisch und thematisch ausgerichtete Motivationen.

Dass Jensen trotz seiner früh erkannten Begabung kaum über Schleswig-Holstein und Hamburg hinaus bekannt wurde, war ohne Zweifel auch durch sein körperliches Schicksal bestimmt; als Folge einer schweren rachitischen Erkrankung blieb er so kleinwüchsig, dass man ihn auf den Atelier-Photographien kaum zwischen seinen Arbeiten entdecken kann.

Diese Arbeiten – und auch seine Aktmodelle – erscheinen neben ihm riesig und als noch überragender als etwa die kaiserlichen Würdenträger Berlins neben Adolph Menzel oder die Soubretten des Montmartre neben Henri de Toulouse-Lautrec. Er war so behindert, dass er erst mit zwanzig Jahren zu gehen vermochte. Wie konnte er lebensgroße Figuren modellieren, deren Sockel nur wenig höher waren als er selbst? Es gehörten viel Mut und Selbstvertrauen dazu, unter solchen den Umgang mit größeren Bildwerken ungemein belastenden Konditionen Bildhauer zu werden.

Emil Jensen findet seine Form

Während der Studienjahre bei Bossard hätte Jensen in Hamburg außerhalb der Schule stimulierende Anregungen gewinnen können, vor allem durch die Ausstellungen und Erwerbungen des Museums für Kunst und Gewerbe von Arbeiten Moissey Kogans, Gustav Heinrich Wolffs und Richard Haizmanns. Doch scheinen ihn diese Zeitgenossen – von Kogan abgesehen? – kaum interessiert zu haben; seine Auffassung von Bildhauerei stand derjenigen Georg Kolbes näher, wie bereits aus seinen frühen Arbeiten erkennbar wird, etwa den Bronzefiguren von Nymphe und Faun von 1930 für das in diesem Jahr eröffnete Deutsche Haus in Flensburg.



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Heinz Spielmann war von 1986 bis 1998 Museumsdirektor des
Landes Schleswig-Holstein, 2002 bis 2005 Gründungsdirektor und
Leiter des Bucerius Kunst Forums in Hamburg