Anders Petersen. Zwei Ansichten eines Künstlers

Anders Petersen - Heimaey
Anders Petersen: Heimaey, dreiteilig, Acryl und Zink im Stahlrahmen, 80 x 250 cm, 2011.

Anders Petersen hat zwei Gesichter. Zwei künstlerische Gesichter, um genau zu sein. Das eine gehört dem Grafiker Anders Petersen, das andere dem Maler Anders Petersen. Zwei Identitäten in einer Person. In der römischen Antike nannte man diese Zweigesichtigkeit einen Januskopf. Ursprünglich war Janus, der keine Entsprechung in der hellenischen Mythologie findet, ein Licht- und Sonnengott. Erst allmählich wurde er zum Gott allen Ursprungs. Zum Gott des Anfangs und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Türen und der Tore, zum Vater aller Dinge.

Janus, ein römischer Universalgott also, dessen Handlungsraum nicht festgelegt ist; der aber dennoch stets symbolisch für die Dualität in den ewigen Gesetzen, wie etwa Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod und Licht und Dunkelheit steht. Beide Seiten der Dualität entziehen sich dabei immer einer objektiven Wertung und sind damit weder gut noch schlecht.

Genau wie Janus mit seinen zwei Gesichtern entziehen sich auch die künstlerischen Felder Petersens einer eindeutigen Gattungszuordnung. Skulptur, Grafik und Malerei verbinden sich in seinen Arbeiten miteinander zu einer ganz eigenen Ästhetik. Sprengen möchte er die klassisch festgelegten Gattungsbegriffe, aufbrechen und in Frage stellen.

Sein erstes künstlerisches Gesicht, das des Grafikers – nahm Konturen während seines Studiums der Freien Kunst an der Muthesius- Hochschule in Kiel an. Radierungen, insbesondere die Kaltnadel-Radierungen sind Petersens Medium. Doch schnell zeigten sich ihm Grenzen im Ausdruck innerhalb der Gattung selbst. Eine Meisterklasse im Bereich Mixed Media kurz nach Beendigung seines Studiums 1991 im isländischen Reykjavik an der Myndlista og Handidaskoli half, die Künstleraugen weiter zu öffnen, neue ästhetische Pfade zu sehen und diese zu beschreiten.

Ein Ergebnis dieser Horizonterweiterung im Duktus der klassischen Bildungsreise eines jungen Studenten ist die Arbeit „Heimaey“. Ihre Zutaten sind die Hitze und das Blinken der Lavafunken, die Petersen während eines Besuchs der Westmännerinseln, auf denen wenige Jahre zuvor ein Vulkan ausgebrochen war, noch erahnen konnte: „Es dampfte immer noch aus dem Erdreich“.

Anders Petersen - Heimaey
Anders Petersen: Heimaey, dreiteilig, Acryl und Zink im Stahlrahmen, 80 x 250 cm, 2011.

Nachhaltig beeindruckt hat diese unmittelbare Naturerfahrung den jungen Kunsthochschulabsolventen, der nach einem eigenen grafischen Ausdruck suchte. „Heimaey“, benannt nach einem Ort auf der südlich von Island gelegenen Inselgruppe, besteht aus drei Holztafeln, die in Acryl rot-blau gehalten mit wenigen blanken, runden Metall-Applikationen aus Zink versehen sind. Diese Arbeit bildeten den Grundstock für Petersens grafisches Werk. Immer wieder wird die Kombination von farbigen Holztafeln in Stahlrahmen mit Zinkelementen in seinen Arbeiten vorkommen. Ob Petersen nun die französische Provence, die isländische Vulkane oder die Eis-Landschaft des Südpols in seinen künstlerischen Fokus rückt – die metallene Klarheit von Stahl und Zink verleiht der facettenreichen und doch gleichmäßigen Farbigkeit der Holztafeln eine unerwartete Tiefe.

Stets eröffnet der Materialkontrast von Holz, Farbe und Zink ein Wechselspiel von Dichte und Transparenz. Die unterschiedlichen Stoffe speichern den Arbeitsprozess unterschiedlich. Die Farbschichten überlagern sich in den Tiefen der Holzplatte, die bearbeiteten Zinkplatten spiegeln Licht in ihren Kratzern und Eingriffen wieder.

Aus dem Ursprung der Fertigung von Radierungen und der damit einhergehenden künstlerischen Auseinandersetzung mit dem für ihn bis heute elementar bedeutsamen Material Zink, entwickelte Petersen seine Malerei. „Sie ist das Übereinanderschichten von Farben, unabhängig von jedwedem gewählten Bildgegenstand. Nach dem Prinzip der Montage finde oder erzeuge ich Inhalte, indem ich einzelne Elemente in neue Zusammenhänge bringe“, beschreibt Petersen seine ästhetische Verfahrensweise.

Dabei ist die Zinkplatte als Platzhalter der Druckplatte im Tiefdruckverfahren der Radierung in jede Phase der Werkentstehung eingebunden. Zunächst wird die Form der Zinkplatte gefunden, geschnitten und auf das Holz aufgebracht. Sie wird mit der Radierpresse unter großer Druckaufwendung in das Holz hineingedrückt und fest mit ihm verleimt. In einem weiteren Arbeitsschritt werden dann sowohl die Zink- als auch die Holzplatte farbig bearbeitet: immer wieder werden Farbschicht um Farbschicht übereinandergeschichtet und dadurch verdichtet und konzentriert. Die Oberfläche der Zinkplatte sammelt dabei beständig Kratzer und kleine Schrammen. Farbreste setzen sich fest, Blessuren stellen sich ein. Zum Schluss wird beziehungsweise werden die unter den Farbschichten verborgene Zinkplatte oder Zinkplatten freigelegt. Die Spuren dieses Vorgangs bleiben als in das Material gegrabene Strichbündel zu sehen.

So auch in der Werkserie mit dem richtungsweisenden Titel „Fram“ (norw. „vorwärts“) von 2003. Auch hier ist die Erfahrung nordischer, ursprünglicher Natur die Inspirationsquelle des Künstlers Petersen.

Anders Petersen: Fram, Acryl und Zink auf Holz im Stahlrahmen, 120 x 150 cm, 2003.

Diesmal ist er nicht selbst einem unmittelbaren Naturraum ausgesetzt, sondern imaginiert sich in diesen hinein. Es ist jene geschichtsträchtige Naturraum der gewaltigen Südpolexpedition, den der norwegische Seemann und Polarforscher Roald Amundsen während seines Versuchs, die Nordwest-Passage zu durchdringen, ständig vor Augen hatte. „Fram“ ist nämlich auch der Name des massiven Schiffes, mit dem Amundsen und seine Crew monatelang unterwegs waren. Das stabilste Holzschiff, das je eine Werft verlassen hat und das eine Bastion für seine Besatzung gegen das klare und harte Eis bildete. Petersen kontrastiert in dieser die wärmende, schützende Holztafel mit der kalten, lebensfern wirkenden Zinkplatte.

Formal voneinander losgelöst stehen diese nebeneinander und bilden dennoch eine ästhetische Einheit. Die Zinktafel erweist sich langfristig als dauerhafter und beständiger als jene Holztafel: Verwitterungsprozesse können ihr kaum etwas als Spuren anhaben. Sie spannt so, als Material, eine Parallele zu der inhaltlichen Vorlage der Arbeit. Sie dient als Platzhalter für das Eis der Südpolexpedition, während das farbige Holz symbolisch für das Expeditionsschiff steht, das Nansen und Amundsen in den Jahren zwischen 1893 und 1912 nutzten. Scheinbar tot bietet auch die Sphäre des ewigen Eises Lebensraum und damit Raum für Veränderungen.

Die Versetzung der eigenen Persönlichkeit durch Imagination an fremde und ferne Orte ist ein verbindendes Element zu dem zweiten künstlerischen Gesicht Petersens – das des Malers.

Genau wie in der Büste des Januskopfes, die im Museo Chiaramonti der Vatikanischen Museen zu sehen ist, ist das Gesicht des Grafikers Petersen nicht ohne das Gesicht des Malers Petersen zu verstehen. In seiner 2011 entstandene Arbeit mit dem narrativen Titel „Neunzig Grad Süd“ knüpft Petersen inhaltlich an die Polarforscher- und Ausnahmesituationsthematik an. Nur ist seine künstlerische Position hier eine vollkommen neue und andere.

In der 25-teiligen, kleinformatigen Aquarell-Serie imaginiert sich Petersen in die Rolle eines designierten Expeditionszeichners in der Amund’schen Crew.

Der Geschäftsmann Amundsen verfolgte neben seinen Ambitionen mit seinen Entdeckungsreisen zum Nord- und Südpol in die Geschichte einzugehen auch die Strategie einer medienwirksamen Vermarktung dieser geld- und kräftezehrenden Expeditionen. Aus diesem Grund verbot er seinen Besatzungsmitgliedern strengstens, Zeichnungen oder gar Fotografien der neu erkundeten Landschaften anzufertigen oder aufzunehmen. Nur er selbst führte – so oft es ihm Umstände und Witterungen erlaubten – eine Kamera mit. Viele der heute vorliegenden, Schwarz-Weiß- Aufnahmen verwehter Expeditionszelte, bis zur Unkenntlichkeit vermummte Menschen in grenzenloser Schneelandschaft oder Schiffsansichten sind durch Amundsens Linse geschossen worden. Lange waren diese Fotografien, die er vor allem für seine Lichtbild-Vorträge nutzte, verschollen. Denn bei seinem Ableben hinterließ Amundsen einen ungeordneten Nach-lass an Unterlagen.

Erst 1968 wurden diese durch Zufall auf einem Osloer Dachboden entdeckt und später durch den Autor Roland Huntford in seiner Publikation „Scott und Amundsen“ veröffent-licht. Petersen diente diese Monografie als visuelle Vorlage für sein zeichnerisches Experiment. „Wie hätte ein Illustrator diese Reise begleitet?“, fragte sich Petersen als Einstieg zu seinem Aquarell-Experiment, dass ähnlich unvorhersehbar geplant war, wie auch der Wettlauf Amundsens und Scotts um die Eroberung des Südpols.

Mit den Augen eines Grafikers organisiert Petersen die kleinen Bildflächen und abstrahiert die figurativen Abbildungen der Fotografien zu einzelnen grafischen Elementen. Die Zeltstadt in der Zeichnung „Framheim, 28.01.1911“ wird so zu einem Nebeneinander von Dreieck und Parallelogramm, die Menschengruppe mit der norwegischen Nationalflagge fern am Horizont in der Aquarellzeichnung „88 Grad 33’, 08.12.1911“ generiert sich zu einer Ansammlung von senkrechten Pinselstrichen.

Auch in der Aquarellserie über Reiseskizzen aus einem Provence-Aufenthalt nimmt Petersen die Rolle eines Illustrators, diesmal Seite an Seite mit dem naturalistischen Schriftsteller und Erzähler Alphonse Daudet, ein. 2014 zeichnete Petersen anhand eigener Reisefotografien seines Island-Aufenthalts von 1992 Aquarelle des Vulkans Hekla. „Islandwinter“ nennt er diese zehnteilige Serie.

Als formale Vorlage diente ihm dabei der Stil des japanischen Holzschnitt Künstlers Katschushika Hokusai und dessen 36-teilige Serie über Ansichten des Berges Fuji. Die grafische Inspirationsfolie Hokusais animiert hier den Grafiker Petersen zur Malerei, wobei die Malerei auch in dieser Serie zu einem grafischen Experiment verkehrt wird: Gletscher und Horizonte werden zu farbigen Flächen, Menschen zu Strichen, der Vulkan Hekla zu einem Dreieck aus Strichen und Kolorierungen. Der Januskopf hat immer zwei Ansichten – der Künstler Anders Petersen auch.

Julia Lucas, Kunsthistorikerin

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