Peter Nagel und das Theater

Als Maler bereits international bekannt, hat Peter Nagel zwischen 1979 und 1991 das Bühnenbild und die Kostüme für vier Bühnenstücke in Kiel und in der Toskana entworfen. Ein vertiefender Blick auf die Produktionen offenbart interessante Verbindungen in die Kunstgeschichte und lässt uns vielleicht auch mit anderen Augen auf sein malerisches Werk blicken.

Weinen üben (1985)

Als Verfechter eines neuen Realismus hat Peter Nagel die Malerei seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitgeprägt: Die von ihm 1965 mitgegründete Gruppe Zebra forderte in ihrem Manifest eine funktionale und im fotografischen Sinne „objektive“ Malerei – keine individuellen „Seelenlandschaften“, die nur noch dem jeweiligen Erzeuger verständlich sind. Alltagsgegenstände und optische Phänomene der modernen Welt sollten Einzug in die Bilder finden und im Kontext mit Figuren das Spannungsverhältnis zwischen Lebewesen und sie umgebenden Technologien widerspiegeln. Die im Manifest geforderte – und von Peter Nagel konsequent umgesetzte – „Exponierung der Figur“ lässt die Personen in seinen Bildern oft wie Darsteller „auf einer Bühne“ wirken, die, das hat der Kunstkritiker Heinrich Hahne bemerkt, „zur Übertreibung bis hin zu unwirklichen Exaltationen“ neigen: Sie führen Kunststücke für die Bildbetrachter auf, und nicht selten finden sich im malerischen Werk Peter Nagels tatsächliche Bühnensituationen – wie zum Beispiel in der Gruppe im Licht (1981), die für im Bild nicht sichtbare Zuschauer posiert, oder in Weinen üben (1985), das auf eine Fotografie aus einem italienischen Lehrbuch für Schauspiel zurückgeht. Ballett (1999) schließlich zeigt ein Tänzerpaar, während Der Vorturner (2002) selbstverständlich nur durch ein Publikum zum „Vorturner“ werden kann. Peter Nagels Verbindung zum Theater ist jedoch konkreter und geht weit über den Hang zum Theatralen seiner Figuren hinaus.
Mit der Bühne kam Peter Nagel schon früh in Berührung: Sein Großvater, der ein Blumengeschäft im Kieler Brauereiviertel betrieb, nahm ihn während der Schulferien häufig mit ins Theater und mutete dem kleinen Jungen auch schon mal mehrstündige Opernabende zu. Als er ihm schließlich Ballett-, Opern- und Schauspielführer schenkte, war der Ehrgeiz geweckt und Peter Nagel besuchte allein bis zu seinem 18. Geburtstag bereits gut 100 Aufführungen unterschiedlicher Stücke. Dieser enorme Fundus, so der Maler, sei prägend gewesen und spiele auch für seine Arbeit eine wichtige Rolle.

2021Sa13mär(mär 13)10:00So30mai(mai 30)18:00Kiel: Peter Nagel60 Jahre Malerei & GästeRubrikKunstVeranstaltungsartAusstellung

Selbst für das Theater arbeitete Peter Nagel erstmals 1978/1979 in Kiel. Inzwischen schon ein international bekannter Maler, erhielt er den Auftrag, das Ein-Akt-Ballett Der Zauberladen zu gestalten. Der damalige Kieler Ballettmeister Heinz Weitz setzte für bestimmte Produktionen auf die Zusammenarbeit mit bildenden Künstler*Innen. Die Entstehungsgeschichte gerade dieses Ballettstückes legt das auch nahe: Uraufgeführt 1919 in London, geht La Boutique Fantasque – so der Originaltitel – zurück auf den Gründer und Leiter des Ballets Russes, Sergej Diaghilev und einen seiner Tänzer, Serge Grigoriev. Dieser schlug dem Chef einmal vor, das spätestens seit dem komischen Ballett Coppélia (UA: 1870 in Paris) populäre Thema zum Leben erweckter Puppen einmal für ein Werk aufzugreifen. 1917 stieß Diaghilev in Rom auf bis dahin unveröffentlichte Klavierstücke, die der berühmte Komponist Gioacchino Rossini zur Unterhaltung seiner Gäste bei privaten Feiern geschrieben und Les Riens (Die Nichtse) genannt hatte. Diese leichte und leicht ironische Musik schien Diaghilev wie geschaffen für das Thema. Der Komponist Ottorino Respighi wurde beauftragt, eine Orchesterfassung daraus zu machen, der Chefchoreograf des Ballets Russes, Léonide Massine, schuf die Choreografie. Für die Ausstattung der Uraufführung sollte eigentlich der Künstler Léon Bakst sorgen, mit dem Diaghilev seit 1909 zusammenarbeitete. Nachdem Bakst 1918 in den Niederlanden ohne Absprache erste Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme ausstellte, kam es zum Streit und zur mehrjährigen Funkstille zwischen den beiden. Der französische Künstler André Derain – neben Rene Matisse einer der Hauptvertreter des Fauvismus, der ersten „Bewegung“ in der klassisch modernen Malerei – sprang ein. Er schuf ein verspieltes, naiv anmutendes Bühnenbild, das sich offenbar nicht an die Regeln der perspektivischen Malerei hielt – für den Choreografen Massine jedoch gerade dadurch die ideale, fantastische Atmosphäre für das Stück bot: der Spielzeugladen, aus Kinderaugen gesehen.



Weiterlesen …?

Um den gesamten Artikel lesen zu können, buchen Sie bitte unser monatlich kündbares Online-Abo oder bestellen Sie die Print-Ausgabe.

Schon gewusst? Auch als Print-Abonnent:in der Kulturzeitschrift Schleswig-Holstein erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln auf unserer Internetseite. Sie sind Abonnent:in und haben noch keinen Online-Zugang? Dann senden Sie uns eine Mail mit Ihrer Abo-Nummer an info@schleswig-holstein.sh und wir richten es Ihnen ein.

Kristof Warda

Werke und Fotografien
Kunstbetrachtung. 2019/20, Eitempera / Acryl auf Leinwand.
Gruppe im Licht, 1981, Öl / Acryl auf Leinwand.
Weinen üben, 1985, Öl auf Leinwand.
Ballett, 1999, Eitempera auf Leinwand.
Bühnenfoto Der Zauberladen, 1978/79, Theatermuseum Kiel.
Figurinen, Foto „Stehaufmännchen“, Archiv Peter Nagel.
Bühnenbild für Ballett Der Zauberladen, Privatbesitz.
Bühnenvorhang für Pollicino, Montepulciano 1980, nach Kinderzeichungen.
Figurinen und Aufführungsfotos zu Pollicino, Montepulciano 1980, Archiv Peter Nagel.
Entwürfe und Skizzen zu Peer Gynt, Opernhaus Kiel, Archiv Peter Nagel.
Fotografien, Figurinen und Skizzen zu Der Dreispitz, 1991 Opernhaus Kiel, Archiv Peter Nagel.
Archivmaterial fotografiert von Kristof Warda.