Im Juni 2023 hat sich die neonazistische NPD umbenannt – in: Die Heimat. Aber auch andere verfassungsfeindliche Parteien und Gruppierungen wie die sogenannte identitäre Bewegung reklamieren den Heimatbegriff für sich und geben vor, genau zu wissen, was damit gemeint ist und wer dazugehört – vor allem aber: wer und was nicht dazugehört.
Es wird Zeit, einen weltoffenen Heimatbegriff und ein heiteres Heimatgefühl in Erinnerung zu rufen. Was ja auch schon geschieht: „Heimaten. Eine Ausstellung und Umfrage“, aktuell im Freilichtmuseum Molfsee zu sehen, bricht bewusst mit konventionellen Vorstellungen und fragt, ob es die eine Heimat überhaupt geben kann. „Heimat. Eine Suche“ hieß die Ausstellung, die von Dezember 2021 bis Januar 2023 im Bonner Haus der Geschichte gezeigt wurde. Sie richtete sich gegen alle rechtsradikalen Tendenzen, den Heimatbegriff zu instrumentalisieren und als politischen Kampfbegriff zu missbrauchen. Dagegen stellte sie die Frage: „Wie kann ein moderner Heimatbegriff aussehen, der dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dient?“
Unter dem Titel „Heimat? – Eine Suche“ unternahm in Schleswig-Holstein die Angeliter Künstlergruppe Quadro.Zont „Annäherungen an einen komplexen Begriff“. Die Ausstellung wurde im Juli 2023 im Landschaftsmuseum Unewatt gezeigt. Sie wehrte sich ausdrücklich gegen rechtsradikale Vereinnahmungen des Heimatbegriffs mitsamt heimattümelnder Ästhetik. Was aber wäre unter einem weltoffenen Heimatbegriff und einem heiteren Heimatgefühl zu verstehen? Und wie ließe sich diese andere, demokratische Vorstellung von Heimat begründen?
Suche, das heißt ja zunächst einmal: Heimat ist keineswegs etwas, das wir immer schon haben, kein Besitz oder Eigentum, sondern etwas, wonach wir suchen, und das heißt auch: etwas, von dem nicht gewiss ist, ob wir es finden werden. Heimat als Frage also, die viele und vielfältige Antworten zulässt und die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch und vor allem die Zukunft angeht: Heimat als Gestaltungsaufgabe, als Wagnis auch – als etwas, das auf dem Spiel steht, um das gerungen wird und das schiefgehen kann. Wir suchen Heimat, was auch heißt: Wir haben kein ungebrochenes Verhältnis zur Heimat, und dafür gibt es gute Gründe. Ein paar davon möchte ich ansprechen und dann eine Wiederannäherung versuchen.
Das Grundproblem besteht darin, dass Heimat ein Begriff ist, der aus der Differenz lebt. Das heißt, wenn wir von Heimat sprechen, legen wir eine Unterscheidung zugrunde: hier die Heimat und dort das Andere, was nicht Heimat ist. Der Begriff teilt die Räume, die geografischen ebenso wie die sozialen, kulturellen und ästhetischen, ja sogar und vor allem die emotionalen Räume. Der Begriff nötigt uns auf allen Ebenen fühlbare Unterscheidungen ab. Die gängigsten sind wohl:
- hier die Heimat, dort die Fremde
- hier das Bekannte und Überschaubare, dort das Anonyme und Unübersichtliche
- hier das Vertraute und Verlässliche, dort das Verunsichernde und Ungewisse.
Es führt kein Weg daran vorbei: Heimat ist ein exklusiver Begriff: Er schließt bestimmte Dinge ein, und er schließt anderes aus. Und damit sind wir mittendrin im Heimatdilemma. Denn die Unterscheidung von Heimat und Fremde verhält sich keineswegs neutral, vielmehr mobilisiert sie permanent Gefühle und Werturteile – eher positive auf der einen Seite, tendenziell negative auf der anderen.
Positiv, das heißt: Das Heimatgefühl ist Ausdruck einer gesteigerten Wertschätzung für das, worauf es sich richtet. Der Begriff will auf positive Einstellungen hinaus, auf Wertungen und Gefühle, die wir dann Heimatbewusstsein oder „Heimatliebe“ nennen. Negativ, das heißt: Bei aller Liebe zur Heimat ist die Tendenz groß, die andere Seite der Heimat gering zu schätzen oder sogar abzuwerten. Allein die Worte tun das: Das Fremde, das Unbekannte, das Unvertraute! Wirklich wohl ist uns dabei erstmal nicht. Viel mehr rufen diese Worte Gefühle der Befremdung, der Verunsicherung, ja der Furcht hervor.
Wenn wir nun aber Heimat und Fremde in allzu starken Gegensätzen denken und empfinden, neigt die gesamte Konstellation zur Überspannung; sie wird anfällig für Ideologien – und das hat toxische Konsequenzen für beide Seiten.
Einerseits wird unser Verhältnis zum Fremden vergiftet, nämlich dann, wenn die Heimatliebe mit einem Schattengefühl einhergeht: mit der Fremdenfurcht. Dann braucht es nicht viel, dass Furcht in Feindlichkeit umschlägt, in Ablehnung, Abschottung und Ausgrenzung des Fremden. Dann wird der, die, das Fremde schnell zum Imaginationsraum existenzieller Angst, der Xenophobie, die von jeher alles Fremde zum Barbarischen stempelt. Dabei wissen wir doch: Des einen Fremde ist des anderen Heimat – und umgekehrt. Ist es da nicht paradox, das eine zu lieben und das andere zu fürchten oder gar zu hassen, wenn es näher kommt?
Andererseits wird unser Verhältnis zur Heimat selbst vergiftet, nämlich dann, wenn es vor allem rückwärtsgewandt ist, einseitig auf die Vergangenheit gerichtet, und uns auf eine bestimmte Herkunft und Identität festlegt: auf Sitte und Tradition, auf Abstammung und Verwurzelung, im ärgsten Fall auf Blut und Boden und Volksgemeinschaft.