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artefact gGmbH

Globales Lernen und lokales Handeln

artefact, das Zentrum für nachhaltige Entwicklung, ist eine Bildungseinrichtung, die sich mit den Themen Energie, Klimawandel, Landwirtschaft und Tourismus befasst. Ziel aller Aktivitäten ist die Fortbildung und Motivation für den Einsatz nachhaltiger Lebens- und Produktionsweisen in Nord, Süd, Ost und West.

Eines der Gründungsmitglieder des BEI ist der Verein artefact, der damals kurz vor der Einweihung des „Zentrums für angepasste Technik und internationale Entwicklungszusammenarbeit“ stand. Heute betreibt die artefact gGmbH für globales Lernen und lokales Handeln das Zentrum für nachhaltige Entwicklung auf drei Hektar Erbpachtland in Glücksburg an der Ostsee. Der Ansatz eines interkulturellen und technischen Austauschs auf Augenhöhe war damals so ungewöhnlich wie heute.

„Dann bildet ihr hier die indischen Maurer aus?“

Fast zwangsläufig stellten die Besucher*innen der artefact-Baustelle die scheinbar rhetorische und vorurteilsbehaftete Frage beim Blick auf einige der indischen Mitarbeiter*innen. Doch hier passte wenig in das Klischee der Besucher*innen: Monatelang waren indische Architekt*innen und Handwerker*innen in der Aufbauphase des Tagungshauses vor Ort, um deutsche Kolleginnen anzuleiten beim Bau schalungsfrei gemauerter Kuppeln aus Lehmsteinen, dem Mauern von Biogasanlagen oder der Berechnung nubischer Gewölbe: Auch viertausend Jahre nach der Entwicklung dieser architektonischen Besonderheit am mittleren Nil war europäischen Architekt*innen die Statik zumeist noch ein Rätsel. Langjährige Auslandserfahrung stand am Beginn der Vereinsgründung: Mindestens fünf Jahre Arbeit mit dem Deutschen Entwicklungsdienst, Nichtregierungs- oder kirchlichen Organisationen waren die Voraussetzung für einen ungewöhnlichen Zweitstudiengang an der Pädagogischen Hochschule Flensburg (heute Europa-Universität Flensburg). In diesem wurde interdisziplinär auch über das fragwürdige Vorbild westlicher Entwicklungs- und Wachstumsziele debattiert – mit dem Ergebnis, erstmal herausfinden zu wollen, wie denn in der eigenen Gesellschaft und Klimazone mit lokalen Ressourcen nachhaltig gebaut und gewirtschaftet, Energie und Wasser genutzt werden können. Bei der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ wurde artefact prompt als Referenzobjekt angeführt. Seitdem hat sich Einiges geändert: Fairen Kaffee gibt es nicht nur als bittere „Sandino Dröhnung“ auf dem kirchlichen Weihnachtsbasar. Das Bauen mit dem „Arme-Leute-Baustoff“ Lehm ist nicht mehr ganz so peinlich. Nicht alle, aber viele Versuche und Experimente aus der artefact-Arbeit erfahren inzwischen eine größere gesellschaftliche Akzeptanz. 30 Jahre nach der Gründung des Dachverbands Lehm e.V. findet jährlich ein Handwerker*innenkurs zur „Fachkraft Lehm“ statt. Der Dämmstoff Seegras erlangt in manchen Kreisen Kultstatus. Die ehemalige Luxusenergie aus Photovoltaik zieht die Preise an der Strombörse zuweilen in den Keller.

Doch trotzdem ist nichts davon ein Selbstläufer. Das Bohren dicker Bretter braucht Mitstreiter*innen mit hoher Motivation und langem Atem. Jahrzehntelanges Ausprobieren, Anpassen und vor allem Selbermachen, statt nur über Fehlentwicklungen und Missstände zu reden, ist ein wesentliches Erfolgsrezept der artefact-Arbeit, die ohne moralischen Zeigefinger erstmal neugierig macht: Zehntausende Schüler*innen nahmen an interkulturellen Projekttagen teil. Windräder oder Solarkarussells wurden gebaut, Stoffe gefärbt oder Maniok-Chips frittiert. Berufliche Fortbildungen zur/zum Solarfachberaterin, zu Dämmstoffen oder Strohbau sprechen andere Zielgruppen an. Bei Exkursionen im deutsch-dänischen Grenzgebiet werden Energiewende und Bürger*innenbeteiligung für Berufsschullehrer*innen aus dem Globalen Süden ebenso begreifbar wie für schleswig-holsteinische Kommunalpolitiker*innen und Urlauber*innen genießen seit 30 Jahren das Wohlfühlklima der Lehmbauweise.

Nord-Süd-Austausch

Mit seiner Entsendeorganisation solivol bereitet artefact im Rahmen von weltwärts und dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) alljährlich junge Erwachsene aus Deutschland für einjährige Lerndienste in Rumänien, Ostafrika und Namibia vor. 15-20 Freiwillige aus Ostafrika werden im reverse-Programm an ihren Einsatzstellen in Norddeutschland betreut. Auch andere Träger der Nord-Süd-Arbeit nutzen gern die artefact-Infrastruktur und -Expertise für Vorbereitungen eigener Einsätze oder für die Reflexion für das Leben danach. Wie mühsam, aber auch wie dringlich das Verändern von Gewohnheiten und Konsummustern in der eigenen Gesellschaft ist, macht oft ein Auslandseinsatz deutlich. Für Mitglieder des BEI wurden mehrfach Fortbildungen zu Themen wie dezentraler Einsatz von Solarenergie, Einsatz energieeffizienter Herde und Öfen und anderer Einkommen-schaffender Methoden durchgeführt. Der als Expo-Projekt im Jahr 2000 eröffnete Energieerlebnispark trägt heute als Klimapark Glücksburg zur nachhaltigen touristischen Angebotspalette der Region bei.

Bauland oder Bildung?

Dass aber auch nach 300.000 Besucher*innen und 35 Jahren nachhaltigen Wirtschaftens keine Garantie für den Weiterbestand gegeben ist, erfährt das zehnköpfige artefact-Team derzeit: Die vielfältigen Aktivitäten auf dem Gelände sind nicht förderlich für die Baulandpreisspekulation in unmittelbarer Nachbarschaft, weshalb von interessierter Seite derzeit juristisch gegen die Betriebsgenehmigung der gemeinnützigen GmbH geklagt wird. Noch ist offen, ob private Gewinnmaximierung oder Gemeinwohlökonomie siegen. Derzeit benötigt artefact selbst Solidarität und viele Seminarteilnehmer*innen, um diese kapitalistischen Angriffe zu überstehen.

Das Bündnis Eine Welt und artefact

Die Schnittmengen, Synergien und Kooperationen zwischen artefact und dem BEI sind vielschichtig. Aus einer Idee für einen Spaßwettbewerb heraus führte artefact 2009 erstmals den Schleswig-Holstein Solarcup durch, um Kinder und Jugendliche zum Bau von kleinen Solarfahrzeugen zu motivieren. Unterstützt durch die Bingo Projektförderung und eine Honorarkraft namens Martin Weber ging der Solarcup im Folgejahr in Serie und ist inzwischen wohl einer der ältesten analogen Landeswettbewerbe in Deutschland. In der Startphase für das neue entwicklungspolitische Promotor*innenmodell des Bündnis Eine Welt wurde mit der ersten Einsatzstelle für Nicole Gifhorn bei artefact Neuland betreten.

Trotz vieler kleiner Erfolge werden manche alten und neuen Baustellen und Herausforderungen aktuell immer größer. Unsere gemeinsam erworbene Frustrationstoleranz und unser Durchhaltevermögen gilt es an Andere weiterzugeben. Wir haben, ebenso wie das Bündnis Eine Welt, noch einige weitere Ideen und Themen für die nächsten 30 Jahre auf dem Zettel. Packen wir’s gemeinsam an!


Brücken bauen – 30 Jahre Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein

18,90 

Thema VIII, in Kooperation mit dem Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e. V.. 196 Seiten.

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