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Fair-Handels-Beratung

Weltläden in Schleswig-Holstein – zurück in die Zukunft?

Weltläden sind schon seit 50 Jahren ein Rückgrat der entwicklungspolitischen Bewegung. Gegründet – oft von kirchlichen Akteur*innen – als „Dritte Welt Läden“ (wegen des „Dritten Wegs“ zwischen der kapitalistischen und kommunistischen Welt) und aus politischem Engagement gegen einen schon damals als (post-)kolonial erkannten Welthandel, professionalisierten sich die Läden ab den 1990er Jahren zunehmend. Mehr Umsatz bedeutet mehr konkrete Unterstützung für benachteiligte Produzent*innen im Globalen Süden. Und ein professionelleres Erscheinungsbild macht die Läden zu ernst zu nehmenden Gesprächspartner*innen in Politik und Gesellschaft. Seit mehr als 30 Jahren werden die ca. 25-30 kleineren und größeren Weltläden in Schleswig-Holstein durch die Fair-Handels-Beratung auf ihrem Weg unterstützt.

In Schleswig-Holstein sind die Anfänge des Fairen Handels auf einen Jugenddiakon der Jacobi Gemeinde in Kiel, Ulrich Zoch, zurückzuführen. Gemeinsam mit Piet Meyer und Jan Christensen (jetzt Umweltpastor der Nordkirche) baute er 1975 einen Verkaufsstand in der Kirche auf und verkaufte fair gehandelte Produkte mit Hilfe eines Fahrradanhängers auf dem Kieler Wochenmarkt. Später folgte der Umzug in das Jugendpfarramt in die Kirchhofallee. 1980 wurde dann der Verein „3.Welt-Laden Kiel“ als Träger des Ladenbetriebs gegründet. Der Kirchenkreis Kiel unterstützte die Arbeit mit der Abordnung zweiter Mitarbeiter*innen über viele Jahre. Das ermöglichte längere Öffnungszeiten und bildungspolitisches Engagement. Seit vielen Jahren nun ist der Weltladen Kiel ein eigenständiger Verein und in ehrenamtlicher Verantwortung – nach dem letzten Umzug jetzt in der Wilhelminenstraße.

Herausforderungen heute

Die Zeiten werden nicht einfacher, um einen Weltladen wirtschaftlich erfolgreich und in Bildungs- sowie Kampagnenarbeit wirkungsvoll zu führen. Einige aktuelle Schwierigkeiten und Perspektiven sollen hier aus Sicht der Fair-Handels-Beratung skizziert werden. Schon während der Corona-Pandemie reagierten die Weltladen-Gruppen sehr unterschiedlich auf diese Herausforderung: Für viele kirchliche Fair-Handels-Gruppen und einige kleinere, oft überalterte Läden war es der Anlass, ihre Arbeit zu beenden. Andere Läden machten mehr Umsatz als vorher, weil sie zum Teil der einzige Geschenkeladen waren, der während der Pandemie geöffnet haben durfte (wegen des hohen Nahrungsmittel-Anteils im Sortiment). Die Ernüchterung kam dann hinterher, als aufgrund des Ukraine-Kriegs und der steigenden Inflation die Kauflaune spürbar zurückging. Seitdem sind die Weltläden also im Dauerstresstest. Und auf den reagieren die Gruppen sehr unterschiedlich – viele auch mit (verständlicher) Erschöpfung. Herausforderung Überalterung Wer vor der Pandemie schon versäumt hatte, den Laden attraktiv und zukunftsfähig aufzustellen und auch für Nachwuchs in der Weltladengruppe zu sorgen, der hat es jetzt – nach drei Jahren erschöpfender Arbeit – erst recht schwer, neue Mitstreiter*innen zu finden, die zeitgemäße Antworten auf die aktuelle Weltlage geben können. Einige Weltladengruppen werden also in den nächsten Jahren ihre Arbeit (oft nach Jahrzehnten des Engagements) beenden. Diesen Gruppen einen positiven Blick auf das Erreichte zu ermöglichen, wird auch eine zunehmende Aufgabe der Fair-Handels-Beratung sein. Gleichzeitig gehen so viele hochqualifizierte „Boomer“ in den nächsten Jahren in Rente wie nie zuvor. Den Weltladen für diese Zielgruppe als einen attraktiven Ort für die ehrenamtliche Arbeit anzubieten, erfordert Veränderungen nach innen (Teamorganisation) und außen (Kommunikation und Erscheinungsbild).

Herausforderung Kommunikation

Die Kommunikationsgewohnheiten der potenziellen Kundinnen und potenziellen jüngeren Mitarbeiterinnen haben sich geändert – sowohl was die Kanäle angeht (Internet, Social Media) als auch die Art der Ansprache (echte Geschichten sind viel wichtiger als belehrende Informationen). Jüngere Menschen können z.B. mit dem Begriff „Fairer Handel“ wenig, mit dem Schlagwort „De-Kolonisierung“ aber deutlich mehr anfangen. Weltladen-Dachverband und Fair-Handels-Beratung reagieren mit fertigen Kommunikationspaketen (offline/online), Beratungen zur Online-Kommunikation und dem Projekt „Weltläden neu erzählen“. Auch die Kommunikation vieler Fair-Handels-Importeure muss sich ändern, um noch zeitgemäß zu sein. Es wird sicherlich Weltläden geben, die trotz Beratungs- und Dienstleistungsangeboten „auf dem Silbertablett“ diese Entwicklung nicht mitgehen mögen oder können. Über kurz oder lang werden diese Läden vermutlich einen Bedeutungsverlust erleiden.

Herausforderung Innenstadt

In vielen Kommunen ist die Innenstadt für Menschen kein attraktiver Einkaufsort mehr – eine Entwicklung, auf die Weltläden erstmal kaum reagieren können. Wenn Städte versuchen, den sterbenden Innenstädten neues Leben einzuhauchen, so versuchen sie oft, diesen Lagen zu mehr Erlebnis- und Aufenthaltsqualität zu verhelfen. Wenn Weltläden hier attraktive Partner sein wollen, verlagert sich die Arbeit oft vom Verkaufen hin zur „Event- und Erlebnisorganisation“. Zur Kunst, einen schönen Laden mit ansprechendem Sortiment zu gestalten, gesellt sich dann noch die Aufgabe, durch regelmäßige Veranstaltungen (Verkostungen, Upcycling-Workshops, Kochkurse, Kleidertauschabende etc.) einen gerechten Welthandel zu thematisieren. Dieser (zusätzlichen) Herausforderung werden nur Läden mit einer klaren Zielvorstellung und einer guten internen Organisation gewachsen sein.

Herausforderung Vernetzung

Der Aufgabe einer sozial-ökologischen Transformation lässt sich nur mit vielen Organisationen gemeinsam glaubhaft und wirkungsvoll näherkommen. Oft werden Weltläden als „natürliche“ Partner in solchen Prozessen übersehen (bzw. als zu „altbacken“ angesehen), so dass es aktive, weltoffene und in Vernetzung denkende Gruppen braucht, um eine Pionierrolle für eine gerechtere Gesellschaft weiterhin ausfüllen zu können. Auch hier werden nur Läden mit einer klaren Zielvorstellung und einer guten internen Organisation den gestiegenen Anforderungen gerecht werden können.

Fazit

Das Modell des attraktiven „Fachgeschäfts für Fairen Handel“ ist immer noch aktuell. Zahlreiche Beispiele in Schleswig-Holstein (siehe Bilder) und ganz Deutschland verdeutlichen, dass professionell aufgestellte Weltläden erfolgreich geführt werden können. Die Anforderungen an das Know-How, die professionelle Umsetzung und die Organisationsentwicklung steigen aber weiter und erfordern auch eine gute Beratung und Begleitung. Gleichzeitig können sich Weltläden spezialisieren: Als Vernetzungsknoten für eine sozial-ökologische Transformation, als „Event-Weltladen“ zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt oder als wichtige Social Media-Stimme könnten sich Weltläden auch jenseits eines professionellen Ladenkonzepts weiterentwickeln. Die veränderten Rahmenbedingungen, neue Chancen und Herausforderungen erfordern gleichzeitig eine gut aufgestellte Beratungslandschaft mit gut vernetzten, kooperierenden Akteur*innen. Es gibt viel zu tun!


Brücken bauen – 30 Jahre Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein

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Thema VIII, in Kooperation mit dem Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e. V.. 196 Seiten.

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