Samstag, 27. April 2024

Adam Olearius begründet die wissenschaftliche Reisebeschreibung

Von Schleswig nach Russland und Persien

KulturzeitschriftVon Schleswig nach Russland und Persien

Bücher erzählen nicht nur Geschichten, historische Bücher sind Geschichte zum Anfassen. Manchmal sind Bücher sogar das einzige, was von einer Geschichte übrig bleibt. So war es mit der „Auszführliche(n) Beschreibung Der Kundbaren Reyse Nach Muscow und Persien, So durch gelegenheit einer Holsteinischen Gesandschafft von Gottorff auß an Michael Fedorowitz den grossen Zaar in Muscow, und Schach Sefi König in Persien geschehen“.

Eigentlich sollte die holsteinische Gesandtschaft, die 1633 nach Moskau und zwei Jahre später ins persische Safawiden-Reich aufbrach, sehr viel mehr erreichen. Sinn und Zweck der Unternehmung war es, einen Handelsweg nach Persien und damit die Anbindung an die Seidenstraße zu finden. Mit dem Orienthandel, vor allem mit Seide und anderen Luxusgütern, ließ sich im 17. Jahrhundert viel Geld verdienen, und der Gottorfer Herzog Friedrich III. brauchte dringend Geld. Er war ein großer Förderer von Wissenschaft, Kunst und Kultur und hätte am liebsten große Summen in seine Kunstkammer und in seine Bibliothek investiert und berühmte Gelehrte an seinen Hof gezogen. Aber das Herzogtum war klein, wirtschaftlich wenig bedeutend und zudem schwer verschuldet. Da kam der Vorschlag des Hamburger Kaufmanns Otto Brüggemann, den Orienthandel an der niederländischen Konkurrenz vorbei auf dem Landweg nach Schleswig und Friedrichstadt zu leiten, gerade recht.

Friedrich III. schickte zwei Gesandtschaften nach Moskau und Persien: 1633 reiste eine vorbereitende Delegation nach Moskau, um mit dem russischen Zaren über Transitrechte und Zölle zu verhandeln. Die eigentliche Gesandtschaft ging dann 1635 über die Ostsee nach Riga, durch Russland und die tatarischen Steppen zum Kaspischen Meer und nach Persien an den Hof des Schahs in Isfahan. Es war eine außerordentliche, teure und gefährliche Unternehmung. Erst vier Jahre später, 1639, kehrte die Gesandtschaft nach Gottorf zurück – jedoch mit leeren Händen. Der kühne Plan war fehlgeschlagen, die wirtschaftlichen Erwartungen erfüllten sich nicht. Schah Safi I. unternahm zwar einen Gegenbesuch in Gottorf, aber auch der führte nicht zu konkreten Ergebnissen. Herzog Friedrich III. musste seine Hoffnungen begraben, Gottorf und Friedrichstadt zu Drehscheiben des lukrativen Orienthandels zu machen.

Was blieb, ist die herausragende Leistung des Gesandtschaftssekretärs Adam Olearius, der seine Beobachtungen zu einer umfangreichen, mit Kupferstichen und Landkarten illustrierten Reisebeschreibung ausarbeitete. Olearius war selbst für die Barockzeit ein ungewöhnlich vielseitiger Gelehrter. Seine mathematischen Kenntnisse ermöglichten es ihm, durch astronomische Vermessungen die Karte von Südrussland, der Wolga und dem Kaspischen Meer grundlegend zu korrigieren; mit seinen landeskundlichen Beobachtungen erweiterte er die europäische Kenntnis von Russland und Persien enorm. Die „Beschreibung Der Newen Orientalischen Reise“, die erstmals 1647 in Schleswig gedruckt wurde und in vielen Auflagen erschien, ist noch heute ein Standardwerk für die Russland- und Persienkenntnis des 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus wirkte Olearius als Vermittler persischer Dichtung und Kultur in Europa. Mit seinen im Lande erworbenen Sprachkenntnissen war in der Lage, die Gedichtsammlungen „Golestan“ (Rosengarten) und „Bustan“ (Baumgarten) des persischen Dichters Saadi ins Deutsche zu übertragen – sie sind in späteren Ausgaben des Reiseberichts enthalten.

Olearius’ Reisebeschreibung fand zu Recht schon in der Barockzeit weite Verbreitung. Allein die Eutiner Landesbibliothek besitzt nicht weniger als sechs alte Ausgaben in drei Sprachen. Es ist ein Wissensschatz, der heute mehr wert ist als alle Seidentapeten des Orients.

Weitere Artikel

Schleswig-Holstein Ausgabe drei 2015

Top-Themen: Diether Kressel (1925-2015) Ein Nachruf des Malerfreundes Dieter Joachim Jessel // Kulturorte: Der Verein Mahnmahl Kilian im Kieler Flandernbunker // Von Schleswig nach Russland und Persien: Adam Olearius begründet die wissenschaftliche Reisebeschreibung // Kulturinsel Neumühlen-Dietrichsdorf: 50 Ausstellungen im Bunker-D //

Artikel aus den letzten Ausgaben

Editorial

Chefredakteur Kristof Warda stellt die Ausgabe Winter/Frühjahr 2024 vor.

Das Unfassbare haptisch machen. Die Regisseurin Marie Schwesinger

Sie recherchiert in Archiven und Gerichtssälen, spürt Zeitzeugen auf und vereint Stückentwicklung mit klassischer...

Das Dokumentartheaterstück „LebensWert“ am Theater Kiel

LebensWert ist ein auf einer mehrmonatigen, aufwändigen Recherchearbeit basierendes Dokumentartheaterstück, das sich einem dunklen Kapitel der Kieler und schleswig-holsteinischen Vergangenheit widmet: der NS-Euthanasie und vor allem ihrer gar nicht oder nur schleppend erfolgten Aufarbeitung.

Die Welt umarmen. Die Designerin Nanna Ditzel

Befreit in Gedanken und Taten: Nanna Ditzel hatte einen scharfsinnigen Blick für die Konventionen und Lebensstile ihrer Zeit und machte sich daran, sie zu verändern. Sie tat dies mit Farben, Formen, Möbeln und Design, die unsere etablierten Vorstellungen davon, wie Dinge auszusehen haben, wie sie benutzt werden und zu erleben sind, liebevoll auf die Probe stellen und erweitern. Nanna Ditzel übernimmt selbst die Führung – von Anfang bis Ende.

Heimat – eine Suche

Im Juni 2023 hat sich die neonazistische NPD umbenannt – in: Die Heimat. Aber auch andere verfassungsfeindliche Parteien und Gruppierungen wie die sogenannte identitäre Bewegung reklamieren den Heimatbegriff für sich und geben vor, genau zu wissen, was damit gemeint ist und wer dazugehört – vor allem aber: wer und was nicht dazugehört.

Wo öffnet sich die Welt? Der Autor Ralf Rothmann

„Der Weizen war fast reif, der Himmel blau, die Schwalben flogen in großer Höhe....

„… die Sprache der Poesie.“

Kirchen und Kapellen sind in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit so sehr Objekte des geistlichen Auftrags, den sie verkörpern, dass sie als Kunstwerke, als monumentale Kunst im öffentlichen Raum fast nicht wahrgenommen werden. Die Religionsgemeinschaften tun nur wenig, auch diese Seite, diese besondere Qualität des ihnen gehörenden Schatzes hervorzuheben. Er verdient es aber.

Walter Auerbach und die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs nach 1945

Der Name Walter Auerbach wird mitunter in der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung genannt. Er war der einzige „volljüdische” Pastor der schleswig-holsteinischen Landeskirche. Die Begrifflichkeit ist NS-deutsch, eingeführt vom späteren braunen Fleck in Konrad Adenauers Regierungen, Hans Globke. Für den christlich-jüdischen Dialog der ersten Nachkriegszeit nahm Pastor Auerbach eine zentrale Rolle ein und an seiner Person lässt sich das Verhältnis der schleswig-holsteinischen Nachkriegskirche zum Judentum und ihr Umgang mit der eigenen jüngsten Vergangenheit sehr gut veranschaulichen.

Gud as ei gudenooch

Tu jodiar teesen, wat ik bit nü apsteld haa, hiart üüb arke faal uk...

Die Kulturzeitschrift abonnieren

Meistgelesen

Mahlzeit, Erstmal, Moin. Grüße in Nordfriesland und anderswo

Jeder kennt „Mahlzeit“ und „Moin“ als Gruß – zumindest in Norddeutschland; die Verabschiedung „Erstmal“ ist schon südlich von Eider und Nord-Ostsee-Kanal seltener. Wo kommen diese Grußformeln her und wie werden sie gebraucht? LANDRAT in...

Die Schule für Schauspiel in Kiel – private Berufsfachschule und kreativer Kulturort

Ob als freie Schauspieler, feste Ensemblemitglieder oder als Regisseure. Ihre Absolvent*innen bereichern die Theaterszene nicht nur in Kiel und im Land. Rolf Peter Carl stellt die einzige Schauspielschule in Schleswig-Holstein vor.

Die gängigsten Spechtarten in Schleswig-Holstein

Diese Spechtarten können Sie in den Wäldern Schleswig-Holsteins entdecken

Tanne – Abies

Welf-Gerrit Otto betrachtet die Tanne im Spiegel von Mythologie und Volksglaube - und zeigt, wie die Wildpflanze in der Küche verwendung finden kann ...

Gut Panker: Vom Rittersitz zur Gutsgemeinschaft

Panker heute – das ist eine Gemeinde im Landkreis Plön, Amt Lütjenburg, 22.76 qkm, etwa 1500 Einwohner. Das gewöhnliche gelbe Ortsschild lässt von einem „Gut“ Panker nichts erkennen, aber der interessierte Tourist stößt...

Heimat. Begriff und Gefühl – am Beispiel der Gebrüder Grimm

Der Begriff "Heimat", wie wir ihn heute benutzen, entwickelte sich erst in der Romantik, seit Ende des 18. Jahrhunderts.

Nachgelesen: Das bewegte Leben der Lotti Huber

Lotti Huber war eine Künstlerin. Sie war eine Lebenskünstlerin. In einschlägigen Artikeln wird sie als Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin und avantgardistische Künstlerin bezeichnet. Übersetzerin und Schriftstellerin war sie auch. Martin Lätzel über das bewegte Leben der gebürtigen Kielerin.

(Un)bekannte Moderne: Die BEWOBAU-Siedlung von Richard Neutra in Quickborn

Die Architektur-wissenschaftler Barbara von Campe, Eva von Engelberg-Dockal und Johannes Warda sprechen über die BEWOBAU-Siedlung von Richard Neutra und die Moderne im Allgemeinen

Die aktuelle Ausgabe