Nachgelesen: Hans Fallada und Schleswig-Holstein

Genie und Wahnsinn liegen wie auf einer Kreisbahn eng beieinander. Und oft braucht es nicht viel, um von der Genialität in den Wahnsinn zu verfallen, wie auch der Wahnsinnige seine lichten Momente hat, in der der Genius  offenbar wird. Alkohol, Halluzinogene, harte Drogen sind oft der Schlüssel, der die Pforte in die eine oder andere Richtung öffnen lässt. So war es auch bei dem Schriftsteller Rudolf Ditzen.

Auf den ersten Blick haben die Lebensdaten Hans Falladas gar nichts mit Schleswig-Holstein zu tun. Geboren 1893 in Greifswald, gestorben 1947 in Berlin. Dazwischen ein Leben voller Exzesse, Totschlag, Unterschlagung, Alkohol und Drogen, Kriege und Krisen – und wunderbare, fast geniale Literatur, die auch heute nichts von ihrem Bann und ihrer Aktualität verloren hat. Dabei wollte Rudolf Ditzen, wie Fallada mit bürgerlichem Namen hieß, im Leben nur dies, was sein Pseudonym bezeichnet: Glück haben, wie der Hans im Glück und die Wahrheit aussprechen, wie Fallada, das tragische Pferd aus dem Märchen Die Gänsemagd. Die Umstände waren günstig. Der Junge wuchs in einem großbürgerlichen Umfeld auf, der Vater, ein Spitzenjurist, krönte seine Karriere mit einem Posten als Reichsgerichtsrat in Leipzig. Doch das Kind war schwierig, wiewohl es die Eltern wieder und wieder versuchten – und ihn im Übrigen, so lange sie lebten, nie im Stich ließen. Immerhin, den Erfolg ihres Sohnes bekamen sie am Lebensabend noch zu spüren. Rudolf passte nicht in das Umfeld, das er in Familie und Gesellschaft vorfand, war eigenbrötlerisch, die Schule war ihm zuwider, das Künstlerische zog ihn an.

Als Schüler versucht er mehrmals, sich selber zu töten, einen Freund erschießt er in einem gemeinsam fingierten Duell. Nach einer Landwirtschaftslehre arbeitet er auf Gütern und in Genossenschaften – und trinkt. Im Laufe seines Lebens wird er mehrere Entziehungskuren von Alkohol und Morphium mitmachen, allesamt erfolglos. 1920 erscheint sein erstes Buch. Doch die Sucht fordert ihren Tribut. Fallada braucht Geld und wenn möglich, besorgt er es unredlich.

Die Hochzeit mit Anna Issel, seiner geliebten „Suse“ bringt eine gewisse Stabilität in sein Leben. Doch Suse wird er während des Krieges verlassen; sie bleibt mit den drei gemeinsamen Kindern zurück auf dem Hof in Mecklenburg, während Fallada mit seiner zweiten Frau, ebenfalls Morphinistin, ins vom Krieg zerrüttete Berlin zieht. Fallada will Leben und Leben bedeutet ihm zu schreiben. 1931 wird der Autor deutschlandweit bekannt. Mit Bauern, Bonzen und Bomben (1931) erscheint sein erster großer Roman, mit Kleiner Mann, was nun? (1932) erringt er Weltruhm. Beide Bücher werden später verfilmt, ebenso wie Der eiserne Gustav (1937), nicht Falladas bestes Buch, aber durch die Verfilmung mit Gustav Knuth in der Hauptrolle vielleicht sein bekanntestes.

Fallada verdient gut in der Zeit, er erwirbt einen Gutshof in Carwitz bei Feldberg. In Wer einmal aus dem Blechnapf frisst (1934) verarbeitet er seine eigenen Gefängniserfahrungen. Nun herrschen die Nationalsozialisten und Fallada muss sich bekennen. Steht er zu seinen früheren politischen Idealen, oder passt er sich an? Er passt sich an, arbeitet weiter, politisch unauffällig, schreibt Kinderbücher und Unterhaltungsromane und wird sogar für den Reichsarbeitsdienst in Frankreich aktiv. Die hereinziehende Rote Armee setzt ihn trotzdem kommissarisch als Bürgermeister in Feldberg ein, ein Amt, welches er eher schlecht als recht auszufüllen vermag. Sein letztes Buch, Jeder stirbt für sich allein, schreibt er in kurzer Zeit und im Fieberwahn. Kurz nach Beendigung des Werkes, stirbt er.

Und Schleswig-Holstein? Das Land wird gewissermaßen zum Dreh- und Angelpunkt seiner Existenz. Nach langen Jahren unsteten Wanderns, findet Fallada neue Arbeit als Rechnungsführer auf einem Gut nahe Lütjenburg, schreibt an einem Roman, verbraucht seine schmalen Einkünfte für Alkohol und Zigaretten, Morphium und Kokain. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihm anvertrautes Geld unterschlagen würde. Was im September 1925 in Ostholstein passiert, wird Fallada später literarisch so darstellen:

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Martin Lätzel
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