Liebe Leserin, lieber Leser,
fließt das Gespräch freier, wenn man sich hinlegt? Was passiert, wenn wir uns erlauben, zu spielen? Wenn wir andere Blickwinkel zulassen? Fragen wie diese leiteten und inspirierten die Designerin Nanna Ditzel. Seit den frühen 1950er Jahren forderten ihre Entwürfe die bürgerlichen Normen und gesellschaftlichen Konventionen immer wieder heraus. Zu ihrem Werk gehören heute als Design-Klassiker gehandelte Möbelstücke ebenso wie ganzheitliche Raumkonzeptionen – unter anderem für Bibliotheken oder den dänischen Intercity-Zug IC3. Unser Titelbild zeigt ihre Töchter Lulu und Vita – auf ebenfalls von Nanna Ditzel entworfenen Kinderstühlen.
2023 wäre Nanna Ditzel 100 Jahre alt geworden. Im Museum Trapholt in Kolding wird sie aktuell mit einer großen Ausstellung gewürdigt. Christina Kjeldsen bringt uns Leben und Werk der größten dänischen Designerin des 20. Jahrhunderts näher.
Einer der Höhepunkte – zumindest, was die Anerkennung ihrer Arbeit angeht – war für die Theaterwerkstatt Pilkentafel in Flensburg die Auszeichnung mit dem Theaterpreis des Bundes im Jahr 2019. Die freie Regisseurin Anne Schneider hat in den letzten Jahren die Geschichte des Freien Theaters aufgearbeitet, das zu den innovativsten Deutschlands gehört. Zum 40. Geburtstag der Pilkentafel blickt sie zurück. Ulrike Seybold blickt anlässlich des Jubiläums auf Gegenwart und Zukunft des Hauses und fragt dabei exemplarisch: Wie lassen sich die Lebenswerke einer „verrückten Gründer:innengenration“ in langfristig gesicherte Strukturen überführen?
Mit Produktionen wie Tanz den Dönitz und Vom Reisen in ehemalige Kolonien wurde die Pilkentafel zum Korrektiv der Flensburger Stadtgesellschaft. Die Produktion Westliche Höhe beschäftigte sich mit Flensburg als bevorzugtem Wohnort gesuchter NS-Verbrecher, die hier, allseits bekannt und gedeckt, ein von Strafverfolgung unbehelligtes Leben führen konnten. Einer von ihnen war der für die NS-Krankenmorde verantwortliche Arzt Werner Heyde, der in den 1950er Jahren als viel beschäftigter Gutachter für verschiedene Gerichte und Behörden über Schadenersatzforderungen von Geschädigten der NS-Verbrechen entschied. Dies thematisiert aktuell auch das Dokumentartheaterstück LebensWert am Theater Kiel. Regisseurin Marie Schwesinger berichtet im Gespräch von ihrer Recherche und der Entstehung des Stückes.
Die wenigen nach 1945 in Schleswig-Holstein gebliebenen Jüdinnen:Juden mussten ebenfalls mitunter über viele Jahre für ihr Recht kämpfen. Ein Umstand, den auch die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum in Rendsburg thematisiert und der sich nicht nur auf das „Eldorado für NS-Verbrecher“ Schleswig-Holstein beschränkte: „Ein Entbräunter ist in drei Tagen wieder in seinem Recht, der Rasseverfolgte wartet schon drei Jahre“, schreibt der Pastor Walter Auerbach in seinem Bericht von der ersten Tagung des Christlich-Jüdischen Dialogs in Darmstadt 1948 und bringt damit das Scheitern von Entnazifizierung und „Wiedergutmachung“ auf den Punkt.
Auerbach war der einzige „volljüdische“ Pastor der Landeskirche und „beauftragt durch das ev.-luth. Landeskirchenamt Schleswig-Holstein mit der Betreuung der durch die Nürnberger Gesetze betroffenen Gemeinde-Mitglieder in Schleswig-Holstein“, wie er seine Aufgabe selbst beschrieb. Stephan Linck zeigt, dass sich die Landeskirche in der Nachkriegszeit allerdings weder für Auerbachs Tagungsberichte noch für seine Tätigkeit sonderlich interessierte.
Und außerdem?
Der Architekt Otto Andersen prägte den modernen Kirchenbau der 1960er und 1970er Jahre, unter anderem mit einer Kapelle in Auerbachs ehemaliger Kirchengemeinde Altenkrempe. Klaus Alberts (Text) und Jan Petersen (Fotos) würdigen sein Werk. Frauke Dettmer wirft einen Blick auf 400 Jahre jüdisches Leben in Schleswig-Holstein. Der Autor Ralf Rothmann entwirft in seinem Werk ein Panorama des Lebens in der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg. Martin Lätzel hat bei ihm nachgelesen. Und Harm-Peer Zimmermann schlägt einen konstruktiven Heimatbegriff vor.
Das alles und noch viel mehr in Ihrer neuen Schleswig-Holstein. Viel Spaß beim Lesen und Entdecken,
Ihr
Kristof Warda
k.warda@schleswig-holstein.sh