Martin Lätzels Ana[B]log: Über Inklusion. Alles inklusive?

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Annika ist vier Jahre alt. Annika kann hemmungslos lachen. Wenn sie lacht, steckt sie alle mit ihrer Begeisterung an. Was sie nicht kann, ist laufen, sprechen, alleine essen. In der Umgangssprache würde man sie als „geistig behindert“ bezeichnen. Und niemand weiß, wie Annika sich weiter entwickeln wird. Wird sie sich jemals alleine im öffentlichen Raum bewegen können? Wird sie irgendwann einmal artikulieren können, was sie gerne mag und was nicht? Wird sie überhaupt eigenständig leben können? Niemand weiß das jetzt vorherzusagen und dementsprechend macht sich ihre Familie Sorgen.

Klar, wir leben in einer Gesellschaft, in der alles picobello sein muss. Wir haben uns, geprägt durch unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, daran gewöhnt, dass alles höher, schneller und weiter sein muss – vor allem, dass alles wächst und gedeiht. Annika macht da nicht mit. Sie ist langsamer und benötigt viel Kraft für die alltäglichsten Dinge.

Ökonomisch betrachtet, kostet sie die Gesellschaft viel Geld: Heilkosten, Therapien. Kaum etwas wird sie davon später in das Bruttosozialprodukt einspeisen. Machen wir uns nicht vor: bei allem Mitleid, was Menschen wie Annika entgegenschlägt, spielt immer auch das Ärgernis eine Rolle, dass sie nicht so richtig funktionieren, gewohnte Abläufe stören und die eigene Zufriedenheit infrage stellen. Doch was heißt das eigentlich, eine Behinderung zu haben? Anders gefragt: Wer behindert eigentlich wen? Annika als „behindert“ zu bezeichnen, sagt mehr über unsere Gesellschaft als über das Kind aus. 

Martin Lätzel über Inklusion

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Martin Lätzel