Ein extravagantes Bauwerk macht noch keine Ortsmarke. Place Branding ist vielmehr ein umfassender Prozess, bei dem vor Ort alle an einem Strang ziehen müssen. Gut gemacht trägt das zur nachhaltigen Entwicklung eines Ortes bei, sagt Florian Kaefer im Gespräch mit Kristof Warda
Lieber Florian Kaefer, im Marketing bezeichnet der aus der Viehzucht (Brandmarken) entlehnte Begriff „Branding“ den gezielten Aufbau einer Marke. Ist Place Branding dementsprechend der Aufbau einer Ortsmarke?
Florian Kaefer: Im Prinzip ja – auch wenn es wichtige Unterschiede zwischen Orts- und Produktmarken gibt, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Beim Place Branding geht es darum, die Attraktivität von Orten (Places) – Städten, Regionen, Destinationen, Ländern – zu fördern und deren Identität und ihre Reputation zu stärken. Ziel ist, zukunftsfähig zu bleiben oder zu werden: attraktiv für Besucher:innen, Fachkräfte und Investor:innen, aber auch für die Einwohner:innen vor Ort.
Es geht also darum, einen Ort zu vermarkten?
Nein. Das wäre der zweite Schritt vor dem ersten! Bei Produkten oder Unternehmensmarken ist das Branding ein Teil des Marketing-Konzepts. Bei Orten hingegen funktioniert das nicht. Erst muss die gemeinsame „große“ Vision einer Gemeinde oder Region feststehen – wofür man steht, worin man besonders gut ist oder sein will. Das herauszuarbeiten ist nur möglich durch das Einbeziehen diverser Stakeholder, allen voran der Menschen vor Ort. Im Anschluss kann diese Vision dann kommuniziert und „vermarktet“ werden.
Konkreter formuliert: Vermarktungsstrategien sind kurzfristig und sektorspezifisch – zum Beispiel Berlin als Messestadt oder als IT-Hub, etc.. Über gezielte Kommunikation werden hier konkrete Zielgruppen angesprochen, es wird Nachfrage stimuliert und das Angebot angepriesen. Werbe- und Marketingagenturen sind hier federführend. Beim Place Branding hingegen müssen die Stadtväter und -mütter zusammenkommen und sich ihre Zukunftsagenda zusammen mit der Verwaltung, mit Wirtschaftsvertreter:innen und Interessengruppen aus der Zivilgesellschaft etc. erarbeiten. Das kann übrigens durchaus zu politischen Verwerfungen führen, wenn zum Beispiel die für Place Branding üblichen Meinungsumfragen zu den Stärken und Schwächen einer Gemeinde ein anderes Bild zeichnen als das von der Politik propagierte. Als zum Beispiel 2018 im schwäbischen Reutlingen ein Markenbildungsprozess angestoßen wurde, kam es vor Ort zu Kontroversen zwischen Politik und Bürgerschaft.
Place Branding ist also nicht Vermarktungsstrategie, die einfach so durch- und umgesetzt werden kann. Place Branding ist vielmehr das Zusammenbringen verschiedener Akteure für das Erarbeiten einer gemeinsamen Vision für den eigenen Ort oder die eigene Region. Es geht nicht um spezifische Wirtschaftssektoren, sondern um den Standort als Ganzen, es geht um zufriedene Einwohner:innen und es geht um öffentlich wahrgenommene Attraktivität. Diese Attraktivität muss von Innen heraus kommen und kann einem Ort nicht in Form eines Vermarktungskonzeptes übergestülpt werden.
Wenn es dann ans Umsetzen geht, muss die Politik oft erst einmal die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen bzw. es muss in Einrichtungen investiert werden. Gelungen ist das zum Beispiel in Bilbao: Bilbao war früher eine Industriestadt im Norden Spaniens, die – wie so viele Industriestandorte – seit den 1970er Jahren mit den Folgen des Strukturwandels zu kämpfen hatte. Es brauchte eine Neuausrichtung. Diese gelang mit dem Bau des Guggenheim Museums, das der Stadt über Ländergrenzen hinweg einen Ruf als Kunstmetropole verschafft hat. Weitere Museen und Stiftungen folgten und heute ist Bilbao eine innovative, moderne und nachhaltige Stadt im Baskenland – und wird auch als solche erkannt.

Der sogenannte Bilbao-Effekt, den sich so manche:r visionäre Entscheider:in auch für die eigene Heimat erhofft. Es reicht doch aber sicher nicht, ein extravagantes architektonisches Großprojekt in die Stadt zu stellen …
… sicherlich braucht es Visionär:innen, und architektonische Großprojekte können auf jeden Fall eine starke Symbol- und Anziehungskraft entfalten. Sie allein können eine Stadt aber kaum transformieren. Dafür braucht es einen langfristigen, von innen heraus kommenden Prozess. Dieser ist die meiste Zeit weniger spektakulär und schlagzeilentauglich als die Großbaustelle einer neuen Landmarke – aber nachhaltiger wirksam. In Hamburg zum Beispiel wurde 2004 ein Markenbildungsprozess angestoßen, um das Stadtmarketing zu schärfen. Zu dem Prozess gehörten über die Jahre auch mehrere Bürger:innenbefragungen und sehr viel kleinteilige, strukturelle Arbeit.
Der Markenkern, der sich herauskristallisiert hat, macht deutlich, wie lebenswert die Stadt ist: Dazu gehört die Hamburger Clubkultur ebenso wie die wunderschöne Natur im Umland. Dass Hamburg heute zum Beispiel im Stadtmarkenmonitor 2020 am besten abschneidet, hat sehr viel mehr mit diesem Prozess zu tun als mit der Elbphilharmonie.
Verstanden. Place Branding ist also zuallererst einmal Identitätsfindung.
So ungefähr. Modernes Place Branding integriert sämtliche Sektoren und kümmert sich auch um die Eigenwahrnehmung und Zufriedenheit der Bevölkerung sowie die nachhaltige Entwicklung des Standorts. Hierzu gehören unbedingt Umweltfreundlichkeit, soziale Themen, gelungene Integration sowie natürlich auch die Wirtschaftlichkeit der Stadt oder Region. Das sind alles sehr politische Themen, welche nur Unternehmer:innen, Gesellschaftsvertreter:innen und Politiker:innen gemeinsam stemmen können. Und eine gute Portion Mut gehört schon auch dazu.
Das Standortmarketing ist weniger politisch und dadurch etwas einfacher. Es kümmert sich über die klassischen „P“s des Marketings, um gezielte Zielgruppenansprache mit klar definierten Botschaften. Idealerweise baut es aber auf der zuvor geschaffenen Place Brand (Identität und Wahrnehmung einer Stadt, Region usw.) auf. Grob gesagt empfiehlt sich alle zwei bis drei Jahre eine neue Initiative oder Kampagne des Standortmarketing, um Aufmerksamkeit zu generieren. Place Branding – Strategien zur Standortentwicklung und deren Umsetzung – sollte man maximal alle 20 Jahre in Angriff nehmen.
Kann Place Branding zur nachhaltigen Entwicklung eines Ortes beitragen?
Strategisch gut durchdachtes Place Branding trägt immer zur nachhaltigen Entwicklung eines (Stand-)Ortes bei, zum Beispiel indem es dessen tatsächliche und wahrgenommene Attraktivität erhöht oder sicherstellt, wodurch Fachkräfte und Investor:innen angelockt werden. Das wiederum sorgt für Steuereinnahmen und ermöglicht neue Investitionen in Infrastruktur etc.. Klimafreundlichkeit und korrektes Umwelt-Management gehören sowieso dazu, denn sie garantieren die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit einer Stadt oder Region. Zumal viele Regionen und Städte ja auch touristische Destinationen sind (oder sein wollen), von denen Reisende zu Recht erwarten, dass sie sauber, sicher und touristisch „sanft“ sind; also so ausgerichtet, dass Einheimische von Tourismus profitieren und nicht unter touristischen Aktivitäten leiden.
Kurz gesagt garantiert gut gemachtes Destination Branding die langfristige Reputation der Destination. Diese Reputation entsteht durch die Erfahrung der Besucher:innen in der Destination. Wenn die Destination sich nicht um Nachhaltigkeit kümmert, also sicherstellt, dass die Natur geschützt ist, kulturelle Vielfalt gelebt wird und Unternehmen gut laufen, dann wird sie auch keine positive Reputation oder starke Marke aufrechterhalten können.
Aha, das, was draufsteht, muss also auch drin sein … was bedarf es denn vor Ort, um einen Place Branding-Prozess zu beginnen? Braucht es zum Beispiel eine kritische Größe?
Meistens beginnt ein Place Branding-Prozess mit einem Image-Problem oder einer strukturellen Herausforderung oder Veränderung, zum Beispiel wenn die Bevölkerung abwandert, oder Investor:innen fehlen. Oder – wie im Fall von Bilbao oder auch dem Ruhrgebiet – wenn eine Industrie das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hat und man sich quasi neu erfinden muss. Oder man möchte als Destination attraktiver und bekannter werden. Manchmal stoßen auch neu ins Amt gekommene Politiker:innen Place Branding an, um einen Standort ihren Prioritäten entsprechend zu positionieren. Das ist allerdings heikel, denn der Prozess des Place Branding dauert oft länger als es Politiker:innen in der aktuellen Wahlperiode dienen könnte – parteiübergreifende Initiativen haben daher mehr Chancen auf Erfolg.
Eine gut vernetzte, willensstarke Persönlichkeit ist sicherlich hilfreich, um genug Interesse und Rückhalt zu generieren, denn Place Branding-Strategien benötigen recht viel Vorarbeit und sollen ja dann auch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nützlich und gültig sein. Diese Persönlichkeit kann zum Beispiel ein:e bei der Bürgerschaft respektierter Oberbürgermeister:in sein, oder ein:e Unternehmer:in.
Eine kritische Größe gibt es übrigens nicht – je kleiner die Ortschaft, desto einfacher dürfte es sein, sämtliche Entscheidungsträger an einen Tisch zu bringen. Größere Ortschaften oder Regionen haben den Vorteil, dass sie die nötigen Investitionen eher stemmen können.
Wie sollte ein Ort oder eine Region also konkret vorgehen?
Mein Rat: Unbedingt eine unabhängige Fachperson hinzuholen, welche den Prozess des Place Branding begleiten kann und weiß, welche Hürden und Fallstricke zu erwarten sind, und wie man diese überwinden kann. Von Werbeagenturen oder Marketing-Expert:innen rate ich zu Beginn eher ab. Diese sind dann im letzten Schritt – der Kommunikation nach innen und außen – aber sehr nützlich.
Alle Place Branding-Unternehmungen beginnen mit einer Bestandsaufnahme – welche Stärken und Schwächen gibt es bzw. werden wahrgenommen, wofür steht eine Ortschaft, in der Wahrnehmung der Einheimischen und der Zielgruppen? Und vor allem: Wo wollen wir als Gemeinde hin, welche Zukunftsvision haben wir?
Ebenfalls empfehlenswert: Ein politisch unabhängiges Place Branding-Gremium inklusive Geschäftsstelle, welche Wirtschaftsvertreter:in, Gemeindevertreter:in und Politiker:in an einen Tisch holt und die Entwicklung sowie das Management der Marke (Identität und Image) als Ansprechpartner mitverantwortet. Wie erwähnt, dauert der Prozess des Place Branding oft länger als politische Mandate, deshalb ist es so wichtig, dass eine lokale, regionale oder nationale Regierung zwar involviert, aber nicht eine einzelne Partei federführend ist.
Lieber Herr Kaefer, vielen Dank für das Gespräch.

Florian Kaefer, PhD gründete 2014 das Sustainability Leaders Project, heute die führende Wissensplattform mit Fokus auf nachhaltige Tourismusführung.
Er gründete und leitet The Place Brand Observer, ein Online-Magazin und Beratungsunternehmen, das sich auf Entwicklung, Management und Kommunikation von Destinations- und Standortmarken konzentriert. Florian Kaefer ist Autor des Buches An Insider‘s Guide to Place Branding: Shaping the Identity and Reputation of Cities, Regions and Countries (Springer 2021). Sowie Sustainability Leadership in Tourism: Interviews, Insights, and Knowledge from Practice (Springer, 2022). Florian ist in Südwestdeutschland aufgewachsen und lebt derzeit in der Nähe von Zürich.

Tourismus & Nachhaltigkeit
Thema VI. In Kooperation mit den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien RENN.Nord. 180 Seiten
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