
In Zeiten der Bonner Republik war Walter Jens als Tübinger Rhetorik-Professor und öffentlicher Intellektueller der ‚Redner der Republik‘. Familiäre und freundschaftliche Beziehungen verbanden ihn eng mit der schleswig-holsteinischen Westküste. Jens starb vor 10 Jahren nach einer Diskussion über seine NSDAP-Mitgliedschaft und langer Demenz-Erkrankung. Am 8. März 2023 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Male. Eine Erinnerung.
Walter Jens erstmals begegnet war ich im Hause des Erzählers Boy Lornsen in Keitum auf Sylt. Lornsen und Jens hatten sich auf Tagungen der Schriftstellervereinigung PEN angefreundet. Seit Jahren hielt man nun Kontakt und besuchte sich gegenseitig. Inge und Walter Jens versuchten, einmal im Jahr auf Sylt zu sein. Dann waren sie auch bei Lornsens in Keitum zu Gast und ich durfte gelegentlich dabei sein. Bei einer dieser Begegnungen kam die Rede auf das Städtchen Marne in Dithmarschen, wo Boy Lornsen 1941 Abitur gemacht hatte – sein Vater arbeitete zu der Zeit als Lotse und die Familie wohnte in Brunsbüttel. Ich war in Marne geboren und verließ die dortige Schule 41 Jahre nach Boy Lornsen. Und auch der Tübinger Professor, 1923 in Hamburg geboren, kannte den Ort. Zu meiner Verblüffung bekannte Jens: „Marne – das war für mich, als ich ein Kind war, große Welt“. Er erzählte von seinen familiären Beziehungen, die ihn vor allem mit einem kleinen Hafenort an der Elbmündung verbanden, er erzählte von seinem Großvater Peter Hinrich Jens und seinem Lastensegler „Senta“, erzählte von dessen Bruder, dem zweifachen Kap-Hoorn-Umsegler und Marner Gastwirt Johann Hinrich Jens und schwärmte von der Neufelder Gastwirtin Therese Jans, die der Hamburger Familie Jens im Zweiten Weltkrieg Unterschlupf bot. Ich bat Jens, seine Erinnerungen an Ort und Familie einmal aufzuschreiben. Dieser Bitte folgte er gern.
Frank Trende