„Der Weizen war fast reif, der Himmel blau, die Schwalben flogen in großer Höhe. Erstaunlich viele Kühe grasten auf den Wiesen längs der Eider, neben den schwarz gefleckten Holsteinern auch Nordische Rote mit kurzen Hörnern. Die Luft über den Blumen funkelte von Insektenflügeln, neue Bienenkörbe standen unter den Fichten am Park, und das einstmals quietschende Wetterblech auf dem Turm des Gutshauses war durch eine britische Flagge ersetzt worden.“
Diese prägnante und für diejenigen, die die Geestlandschaft im Frühjahr kennen, so bekannte Landschaftsbeschreibung, könnte man für heutig halten, wenn nicht von britischen Besatzern die Rede wäre. Sie stammt von Ralf Rothmann, der 2023 seinen siebzigsten Geburtstag feierte. Der Abschnitt stammt aus Rothmanns Roman Im Frühling sterben, der im Jahr 2015 erschienen ist und auf prosaische Weise die Lebensstationen des Autors aufnimmt, da er die letzten dramatischen Kriegstage zweier junger Männer aus Norddeutschland ebenso beschreibt wie die Rückkehr des Erzählers zum Grab der Eltern in Oberhausen. Der tragische Protagonist ist ein Wanderer zwischen dem Ruhrgebiet, dem Geburtsort im Essener Stadtteil Borbeck, dem ländlichen Schleswig-Holstein, näherhin Sehestedt am Kanal in Holstein, der Stadt Kiel und, zuletzt, als Leserin oder Leser kann man das nur ahnen, weil der Roman hier mit einem angedeuteten Ausblick endet, wieder dem Industriegebiet im Westen. Wenn auch in weiten Teilen fiktiv, so trägt das Buch deutliche biografische Züge – nicht zuletzt durch die geografischen Verortungen und die damit verbundenen sehr präzisen Orts- und Milieubeschreibungen.