Im Zuge ihrer diesjährigen Jubiläen beschäftigen sich der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) und der Landeskulturverband (LKV) aktuell auch mit ihrer Vergangenheit. Bei der Modernisierung des Untergeschosses der BBK-Geschäftsstelle im Brunswiker Pavillon in Kiel entdeckte Dokumente geben eine brisante gemeinsame Geschichte aus der Anfangszeit der beiden Verbände preis.
Durchschriften, Abschriften, handgeschriebene Originale – mehrere Mappen umfasst die Korrespondenz des BBK-Gründungsvorsitzenden Oscar Kehr-Steiner. Wann sie in den Keller des Brunswiker Pavillons gelangte, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen, dass sie uns aufschlussreiche Einblicke in die schleswig-holsteinischen Kunstszene und ihrer Organisationen in der Nachkriegszeit liefert. So finden sich in einer der Mappen zahlreiche Briefe und Dokumente aus den Jahren 1953 und 1954, anhand derer sich eine brisante Affäre um die Jurybesetzung zur ersten Landesschau 1953 nachvollziehen lässt. Nur vordergründig geht es dabei um die Rivalität und Konkurrenz der Vorsitzenden zweier parallel existierender Künstlerverbände mit landesweitem Anspruch. Die historische Einordnung offenbart personelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit und den Kampf um die vorherrschende Kunstrichtung in einem politischen Klima der „Renazifizierung“ und des Antikommunismus.
„Renazifizierung“ der Landespolitik ab 1950
Bei der schleswig-Holsteinischen Landtagswahl 1950 wurde der nur ein halbes Jahr zuvor gegründete Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (kurz GB/BHE) mit 23,4 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft hinter der regierenden SPD und schmiedete als „Juniorpartner“ eine Koalition mit CDU und Deutscher Partei: Nachdem der GB/BHE dem eigentlichen CDU-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Paul Pagel, die Stimmen verweigerte, einigte man sich auf das ehemalige NSDAP-Mitglied Walter Bartram (ab 1946 CDU) als Ministerpräsident. Paul Pagel wurde Minister für Inneres und Volksbildung – und einziger Minister im Kabinett Bartram, der keiner NS-Organisation angehört hatte. Am 14. März 1951 notierte Pagel in seinem Tagebuch: „Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen. Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde sind, wenn man ihnen hart entgegentritt.“ Seine Kabinettskollegen bezeichnete er als „Koalition aus SA, SS und NSDAP“.1Michael Legband: Renazifizierung. In (Website): Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: SH von A bis Z. https://geschichte-s-h.de/sh-von-a-bis-z/r/renazifizierung/.
Auswirkungen auf die Kulturszene
Auch in der Kulturszene des Landes ist der Rechtsruck zu spüren: Der Künstler Friedrich Karl Gotsch beklagt kurz nach der Wahl: „Jetzt ist eine Rechtsregierung in Schleswig-Holstein, die an modernem noch weniger Interesse hat – der Boykott gegen mich ist schon fast total. Ich habe mich zwar beteiligt an einem Wettbewerb für die Ausmalung einer Schule in Kiel. Aber die Tendenz geht ja ganz zum Kleinbürgerlichen hin.“
Da er „den Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten in politischen Ämtern mehr oder weniger offen zur Sprache brachte“, musste Gotsch sein Amt als Präsident des Landeskulturverbandes (LKV) auf Druck der Landesregierung niederlegen2Vgl: Ulrich Schulte-Wülwer: Kieler Künstler 1918-1945, Boyens Buchverlag, Heide 2019, S. 239.. Sein Nachfolger wurde ein den neuen politischen Gegebenheiten offenbar genehmerer Akteur:
Mit besonderem Dank an Maria Ahrens, Leiterin der Geschäftsstelle des BBK, und an Ute Diez.
- 1Michael Legband: Renazifizierung. In (Website): Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: SH von A bis Z. https://geschichte-s-h.de/sh-von-a-bis-z/r/renazifizierung/.
- 2Vgl: Ulrich Schulte-Wülwer: Kieler Künstler 1918-1945, Boyens Buchverlag, Heide 2019, S. 239.