weil Harald Naegeli Zürichs Wände bemalte, wurde er per internationalem Haftbefehl gesucht. Festgenommen wurde der „Sprayer von Zürich“ 1982 in Puttgarden. Einen Monat lang saß er in Lübeck in Untersuchungshaft, bevor er nach Düsseldorf entlassen und schließlich an die Schweiz ausgeliefert wurde. Mit seinen Kritzeleien habe er es verstanden, „über Jahre hinweg und mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich zu verunsichern“, hieß es damals vor Gericht. „Denken Sie nicht allzu bitter von diesem Landstrich“, schrieb ihm die in Schleswig-Holstein lebende Lyrikerin Sarah Kirsch ins Gefängnis. Frank Trende erzählt in dieser Ausgabe von der ungewöhnlichen Brieffreundschaft zwischen der Dichterin und dem Künstler, der 2020, Jahrzehnte später, mit dem Zürcher Kunstpreis ausgezeichnet wurde.
Die Un-Kulturspuren von gestern sind also längst zu Kulturspuren von heute geworden – oder? Diese Frage stellt auch Wolfgang Pittkowski in seinem Beitrag über historische Kritzeleien im Schleswiger Dom. Seine Spurensuche führt zurück bis ins 17. Jahrhundert – und verbindet sich mit einer aktuellen Diskussion über Wert, Kontext und Deutungshoheit. Der Text erschien ursprünglich in der Zeitschrift des Vereins für Natur- und Landeskunde, mit dem wir erneut kooperieren.
Dem Erhalten solcher Spuren widmet sich auch ein Porträt von Gerd Warda: Seit über 40 Jahren kümmern sich die Restauratorinnen Ursula Lins und Uta Lemaitre um das Bordesholmer Retabel im Schleswiger Dom. Für ihre behutsame, unermüdliche Arbeit wurden sie kürzlich mit dem Hartwig-Beseler-Preis ausgezeichnet.
Sammeln, bewahren, sichtbar machen – darum geht es auch in der Lübecker Kunsthalle St. Annen. Die von Direktorin Noura Dirani kuratierte Ausstellung Verlagert thematisiert die Arbeit im Depot – dem Ort, den Tilmann von Stockhausen, Leitender Direktor der Lübecker Museen, treffend als das „Rückgrat der Museumsarbeit“ beschreibt. Sichtbarkeit und Verantwortung sind auch zentrale Begriffe im „Lübecker Manifest“, das von Felicia Sternfeld, Direktorin des Europäischen Hansemuseums und Präsidentin von ICOM Deutschland, mitinitiiert wurde. Sie plädiert für eine neue Offenheit musealer Praxis und für den Dialog mit der Gesellschaft.
Und außerdem?
Die Lyrikerin Shima Kimia spricht mit dem iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof über Film, Freiheit und Exil. Nicola Jones öffnet in der Kieler Filmwerkstatt Räume für kreative Vielfalt und neue Erzählformate. Björn Engholm ruft im Gespräch mit Martin Lätzel dazu auf, die „verstopften Gehörgänge zu öffnen“ und das kulturelle Angebot im Land zu nutzen. „Bereichert eure Sinne, erweitert euren Verstand“, sagt Engholm. Die Lektüre dieser Zeitschrift ist dafür ein guter Anfang.
Ihr
Kristof Warda
k.warda@schleswig-holstein.sh