Kulturgeschichte des Moores. Teil 2: von der Industrialisierung zur Renaturierung

Hochmoor.¹ Endlose Weite, baumlos. Konvexe Wölbung ins Unendliche. Kein Gewächs über Kniehöhe, nirgends Schattenwurf und Regenschutz, nur weite Himmel über dem Morast. Moospolster, gezirkelt allein durch den Horizont. Weithin schwimmendes Kraut, olivgrün, gelbgrün, braungrün. Schwingrasen. Dazwischen Kolke. Schwarze unergründliche Wasserlöcher bilden Muster im nassen Schwamm des Grüns. Unbehaustes Grenzland fern der Menschenwelt, nicht See noch Land. Erhaben und ungeheuerlich gleichermaßen.

In der letzten Ausgabe ging es an dieser Stelle um die Anfänge der Hochmoorkultivierung in Norddeutschland.

1: Hörtipp zur Lektüre: Morten Riis, Steam Machine Music, 2010 (www.mortenriis.dk)

Industrialisierung: Deutsche Hochmoorkultur

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es im Zuge neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und moderner Technologien zu einschneidenden Veränderungen in der Kultivierung der Hochmoore. Etwa einhundert Jahre sollte diese letzte Phase der Moorkolonisation währen, welche die völlige Auslöschung der Naturlandschaft Moor in Norddeutschland zur Folge hatte. Rund 99 Prozent der ehemaligen Hochmoorgebiete sind inzwischen vernichtet. Was bleibt sind Kleinstreservate und touristisch erschlossene Renaturierungsbemühungen.

1877 wurde von der Preußischen Moorversuchsstation in Bremen ein neues Verfahren der Urbarmachung von Hochmoorflächen entwickelt. Im Gegensatz zur Fehnkultur, die in erster Linie die Rohstoffgewinnung und Besiedlung des Ödlands verfolgte und zur Erhöhung der Fruchtbarkeit neben oberflächlicher Düngung durch Schlamm immer noch auf den Moorbrand setzte, zielte die sogenannte Deutsche Hochmoorkultur primär auf eine durch  biochemische Verfahren vorangetriebene Erschließung für die Landwirtschaft.

Zu diesem Zweck wurde das Moor zuerst entwässert. Im Abstand von etwa zwanzig Metern installierte man Drainage-Systeme. Nachdem die Vegetation vollständig entfernt worden war, wurde das Gelände gefräst und planiert. Anschließend kalkte man den Boden bis zu einem pH-Wert von etwa 4,0 mit Branntkalk oder Mergel auf. Abschließend wurde mit Kalium, Phosphor und Kupfer gedüngt. Nicht selten verwendete man in küstennahen Regionen für die Düngung auch Fischabfälle, die mittels Eisenbahn herangeschafft wurden.

Bei der Deutschen Hochmoorkultur handelte es sich entsprechend der Neuerungen der Zeit also um ein wahres Chemie-Labor, das den Boden sozusagen neu definieren sollte. Die erhoffte Wirkung stellte sich allerdings nur sehr eingeschränkt ein. Nachdem in den ersten Jahren insbesondere Kartoffeln und andere Hackfrüchte angebaut worden waren, verdichtete sich der Boden mit den Jahren durch Absacken und Torfoxidation so stark, dass er nur noch als Grünland genutzt werden konnte.

Etwa zur selben Zeit in der die zweifelhafte Deutsche Hochmoorkultur eingeführt wurde, begann man nach neuen Absatzmöglichkeiten für den Rohstoff Torf zu suchen. Bereits in früheren Jahrhunderten hatten die Anwohner großer Moorgebiete die wasserspeichernden und geruchsbindenden Eigenschaften der oberen Weißtorfschichten erkannt. Doch erst um 1880 entwickelte sich die Torfstreuverarbeitung zu einem neuen Industriezweig. Ursache hierfür war die wachsende Konkurrenz der Steinkohle, die den Schwarztorf als Brennmaterial zunehmend verdrängte. Folglich wurden andere Verwendungs- und Vermarktungsmöglichkeiten für den durch die  Kultivierungsmaßnahmen reichlich anfallenden Rohstoff Torf gesucht und gefunden.

Torfstreu aus Weißtorf konnte zur Düngeraubereitung und als Streumaterial für Viehställe eingesetzt werden. 1879 errichtete man die erste Torfstreufabrik im niedersächsischen Gifhorn. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es im gesamten Deutschen Reich bereits weit über hundert derartiger Anlagen. Die Torfindustrie wurde nicht müde, immer neue Verwendungsmöglichkeiten des Weißtorfs anzupreisen, beispielsweise als Verpackungsmaterial, Desinfektionsmittel, als Dämmstoff oder zur Glasreinigung. Der Ausverkauf hatte begonnen.

Nachkriegszeit: Sandmischkultur

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Dr. Welf-Gerrit Otto

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