Sylt. Mythos im Meer

Die beiden Filmemacher Sven Bohde und Claus Oppermann gehen mit ihrem Film „Mythos im Meer“ auf eine ganz besondere Reise. Mit Hilfe von über 300 privaten Filmrollen erforschen sie das ursprüngliche, das persönliche Sylt mit all seinen Geschichten, Bräuchen und Mythen. Jessica Dahlke hat mit ihnen gesprochen.

Lieber Claus, lieber Sven. Worum geht es in eurem Film „Mythos im Meer“ und wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Sven: Mythos im Meer handelt von Sylt. Wir haben von Privatpersonen Schmalfilmmaterial eingesammelt: Super 8, 8mm, 16mm aus der Zeit von 1928 bis in die 1990er Jahre, also bis der Schmalfilm vom Video abgelöst wurde. Der Film zeigt Sylt, wie es war, wie es sich verändert hat. Das vielfältige Sylt.
Claus: Da es hier in Schleswig-Holstein so viele schöne Geschichten zu entdecken und zu erzählen gibt – aus fernen, vergangenen Zeiten bis heute hin – tauchte Sylt als Thema wie ein Leuchtfeuer am Horizont auf.

Was waren die seltenen Bilder, die ihr bekommen habt?

Sven: Von den Syltern selbst haben wir viel Material aus dem Winter bekommen, auch Aufnahmen von der Eisfahrt 1962/63. Da war der Winter so heftig, dass das Wattenmeer teilweise zugefroren war. Die Sylter haben sich mit ihren Autos auf das Eis getraut und sind so rüber zum Festland. Das haben wir auf Film. Das hat so kaum einer gesehen, da waren auch viele Zuschauer bei der Premiere echt erstaunt.

Was war außerdem besonders spektakulär?

Claus: Die Sturmfluten. Besonders natürlich die große von 1962. Da haben erstaunlich viele Filmer trotz des Regens, des heftigen Windes und der Gefahr ihre Kamera genommen, um dieses Ereignis, aber auch andere Stürme zu anderen Zeiten festzuhalten…
Sven: …und festzuhalten, was sie mit der Insel machen. Landverlust, Abbruchkanten, an denen Häuser ins Meer stürzen. Aber auch, wie mit diesen Schäden umgegangen wurde, wie man Küstenschutz auf Sylt betreibt.
Claus: Die ersten Surfer auf Sylt haben wir auch in privaten Aufnahmen. Tolle Bilder. Und dann gibt es auch so private Themen wie Kindheit auf Sylt, wie war es auf der Insel aufzuwachsen? Da haben wir sehr lustige und bewegende Bilder von Kindern aus verschiedenen Jahrzehnten. Das ist deswegen so außergewöhnlich, weil viele Dinge heute so gar nicht mehr gehen. Strandburgen bauen, Lagerfeuer am Strand oder einfach in den Dünen spielen. Und da konnte man noch mit der Inselbahn zur Schule tuckern. Diese Freiheit, die die Kinder dort hatten. Einzigartig.
Sven: Beim Thema Veränderung spielt auch der Immobilienmarkt eine große Rolle, weil viele Sylter ihre Häuser verkaufen. Im Winter sind die Dörfer dann ziemlich dunkel. Das zeigen wir ebenfalls im Film. Da merkt man auch, was das mit so einer Inselgemeinschaft macht.

Bei der Premiere auf Sylt waren viele Ur-Sylter anwesend.

Sven: Ja, wir hatten 380 Gäste, viele Sylter. Sie haben uns nach dem Film gesagt, durch diesen Film hatten sie irgendwie wieder dieses Wir-Gefühl und spürten wieder diese Gemeinschaft. Alle waren sehr dankbar, dass Claus und ich diesen Film gemacht haben.
Claus: Ein unvergesslicher Abend. Das war toll. Die Zuschauer waren sehr bewegt, es gab stehende Ovationen und viele Menschen, die uns über fünf Jahre Produktionszeit begleitet und unterstützt haben, waren dort. Und es gab so unglaublich viele Danksagungen, dass wir diesen Film gemacht haben.
Sven: Die Premierengäste haben gemerkt, was für einen Schatz wir dort gehoben haben und dass diese Produktion eigentlich ein Geschenk an die Sylter ist. Sie sehen, was mal war und was sie in Zukunft wieder mehr schützen sollten.

Also hat der Film einen hohen integrativen Charakter?

Claus: Klar. Wir wollten hier nicht wieder dieses Klischee von der Insel der Reichen und Schönen bedienen. Schleswig-Holstein verkommt leider oft zur Kulisse für schöne Landschafts- und „Urlaubsfilme“. Es sind die Menschen, die hier leben und dieses Land erzählen und das alles geprägt haben. Ein Stück Heimat. Das ist uns wichtig.
Sven: Wenn man aufhören würde, Geschichten zu erzählen, dann wäre die Menschheit nicht mehr die Menschheit. Das macht die Menschen aus. Film ist ein gutes Medium dafür. Gerade wenn Film im Kino oder in großen Sälen stattfindet.
Claus: Es verbindet die Leute. Leute, die sich vielleicht gar nicht kennen. Und doch hat man die gleichen Reaktionen und eine faszinierende Stimmung im Saal. Das hast du vorm Bildschirm zu Hause nicht. Geht nicht. Das kannst du nicht kopieren.
Ist es genauso wichtig, Filmmaterial zu schützen, um es auch nachfolgenden Generationen zur Verfügung zu stellen?

Claus: Unbedingt. Man stelle sich vor, man hätte Filmmaterial von vor 500 oder 1000 Jahren! Das alte Rom auf Super-8 oder mit Columbus auf hoher See. Es ist Geschichte. Es sind Bilder, die Geschichten erzählen. Wir sollten das bewahren und mehr schützen. Die technischen Möglichkeiten sind da.
Sven: Ja, das Filmerbe ist wichtig. Es wäre etwas anderes, wenn es diese Sylt-Filme nicht gäbe oder sie verloren gegangen wären. Wir haben eine Interviewpartnerin im Film, die das Material schon vor Jahren wegwerfen wollte. Sie las zum Glück aber von unserem Projekt und hat sich bei uns gemeldet. Sie hat uns so schöne Erinnerungen erzählt und als wir das Material sahen, waren wir froh, dass wir es erhalten konnten und nun in unserem Film gelandet ist. Wir sagen allen Leuten: Werft eure Filme nicht weg. Denn diese Filme sind Schätze.

Es ist kulturelles Gedächtnis, was da verloren geht.

Claus: Ja, leider. Wir haben da noch viel zu tun. Ich denke, in Deutschland sollte es ein stärkeres Bewusstsein für den Film, die Filmkunst, das Filmerbe geben. Wir haben da so viele tolle Sachen, die zu wenig Wertschätzung erfahren. Unsere Vision ist es, dass es in Gemeinden, Kreisen, Stadtarchiven eigene Mittel für den Erhalt des privaten Filmerbes gibt. Noch gibt es viel zu retten. So wie auf Sylt.
Sven: Von den Privatfilmen weiß eigentlich keiner was. Das heißt, wenn sie verloren gehen, vermisst sie auch keiner. Aber es ist schade. Der Rat an alle, die solche Filme haben: Bloß nicht wegwerfen.

Und an alle Kommunen: Bloß dafür sorgen, Filme in Stadtarchiven zu sammeln …

Sven: Das ist natürlich ein frommer Wunsch, in Zeiten klammer Kassen.

Große historische Ereignisse der letzten 100 Jahre – vom Zweiten Weltkrieg über den Vietnamkrieg bis zum 11. September 2001 – würde man wahrscheinlich ganz anders wahrnehmen, wenn es kein Filmmaterial davon geben würde…



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Jessica Dahlke
filmszene-sh.de

Der Film „Mythos im Meer“ ist als DVD erhältlich und kann hier bestellt werden.