Die großen Weichenstellungen schreibt das Land in seiner Tourismusstrategie fest. Diese wird gerade überarbeitet. Minister Bernd Buchholz zieht im Gespräch mit Kristof Warda Bilanz und blickt nach vorn.
Lieber Herr Buchholz, die Tourismus-Strategie 2025 lässt sich auf eine handliche Formel bringen: 30 – 30 – 3. Das heißt: 30 Prozent mehr Umsatz im Vergleich zu 2012, 30 Millionen Übernachtungen im Gegensatz zu 24 Millionen im Jahr 2013 und ein Top-3-Platz bei der Gästezufriedenheit im Bundesländer-Ranking. Gemessen an diesen Zielen: Wo stehen wir aktuell?
Bernd Buchholz: Kurz gesagt: Wir stehen glänzend da! Denn zwei dieser drei Kernziele haben wir bereits erreicht, obwohl wir uns noch gar nicht im Jahr 2025 befinden: 30 Prozent Steigerung des touristischen Bruttoumsatzes und bei den Übernachtungszahlen liegen wir längst oberhalb der angepeilten 30 Millionen – natürlich vor Corona, also im bisherigen Rekordjahr 2019. Auch bei der Gästezufriedenheit konnte Schleswig-Holstein sich verbessern, zu Platz 3 hat es allerdings noch nicht gereicht.
Sie sind also rundum zufrieden?
Jein. Man könnte angesichts dieser Bilanz natürlich sagen: Alles prima. Aber die Welt ist ja längst eine völlig andere als bei Erstellung der Tourismus-Strategie. Vor allem Corona hat den Tourismus in Schleswig-Holstein vor riesige Aufgaben gestellt und zugleich neue Chancen eröffnet. Es gibt viel zu tun. Zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit: Bislang haben wir vor allem ökonomische Ziele in den Fokus genommen. Aber Nachhaltigkeit basiert auf drei Säulen, nimmt Ökologie, Ökonomie und die soziale Ebene gleichermaßen in den Blick. Und da können wir noch viel mehr draus machen.
Womit punktet der Schleswig-Holstein-Tourismus derzeit am meisten?
Spätestens Corona hat gezeigt, dass man bei uns im echten Norden sicher, weitläufig und entspannt ganz tollen Urlaub machen kann. Mit unserer einzigartigen Natur konnten und können wir punkten – zwei Küsten und ein vielfältiges grünes Binnenland dazwischen hat schließlich nicht jedes Land im Angebot. Wir müssen aber kontinuierlich an der Qualitätsverbesserung unserer Angebote arbeiten, sonst suchen sich die Gäste irgendwann andere Ziele. Die Preisschraube dürfen die Betriebe nicht überdrehen. Jede:r Handwerker:in weiß: Nach fest kommt ab. Und wir dürfen auch an anderer Stelle nicht übers Ziel hinausschießen, sonst sinkt die Akzeptanz der Wohnbevölkerung für den Tourismus.
Auch strukturell sollte laut Tourismus-Strategie einiges angegangen werden – klare Kompetenzverteilung, Verminderung von Konkurrenzsituationen, Umsetzung einer Dachmarke. Wie genau ist denn der Tourismus in Schleswig-Holstein organisiert?
Unser Tourismus ist traditionell recht kleinteilig strukturiert. Deshalb war es ein zentraler Schritt, sich in der mit den touristischen Akteuren gemeinsam entwickelten Tourismusstrategie Schleswig-Holstein 2025 darauf zu verständigen, in welche Richtung es in den nächsten Jahren gehen soll. Um erfolgreich zu sein, müssen ja nicht nur alle am gleichen Strang ziehen, sondern dies auch noch in dieselbe Richtung! Das gelingt nicht mit viel Klein-Klein, es braucht vielmehr gebündelte Kompetenzen, klare Strukturen, gute Kommunikationswege.
Am Beispiel der so genannten LTOs, der Lokalen Tourismus-Organisationen, kann man gut sehen, wie wir vorgegangen sind und was wir erreicht haben: Die Gründung von LTOs diente dazu, die Marketingmittel und -aktivitäten einzelner Player zu bündeln, um auf diese Weise gemeinsam mehr zu erreichen. Dem Gast ist es schließlich ziemlich egal, ob seine Unterkunft „noch“ in Büsum oder „schon“ in Westerdeichstrich liegt. Wichtig ist, eine Region gemeinsam zu vermarkten und den Gästen möglichst viele unterschiedliche Angebote zu machen. Dann sind sie zufriedener, bleiben länger und sorgen für mehr Wertschöpfung in der gesamten Region. Wer dabei nur auf seinen eigenen Vorgarten schaut, kommt nur bis zum nächsten Gartenzwerg, aber nicht darüber hinaus. Deshalb ist der Weg, die Kräfte weiter zu bündeln, richtig und wichtig für einen nachhaltigen Erfolg des Tourismus in Schleswig-Holstein. Wir unterstützen also weiterhin den LTO-Prozess und setzen auf die Schaffung einer starken Einheit im Binnenland.
Welches sind die relevanten Zielgruppen für Tourismus in Schleswig-Holstein? Wo kommen die Tourist:innen her und was erwarten sie hier?
Bei unseren Gästen steht das Naturerlebnis ganz weit oben auf der Liste, gern am, im oder auf dem Wasser. Hier liegen die Kernkompetenzen des Schleswig-Holstein-Tourismus. Deshalb kommen viele Familien mit „Wasserratten“ zu uns, aber auch Neugierige, die Lust am Entdecken haben, und so genannte Entschleuniger, die Entspannung suchen. Corona hat den Trend zu semiautarken Urlaubsformen wie Camping und Urlaub in Ferienwohnungen nochmals verstärkt – das sind Pfunde, mit denen wir wuchern können, auch abseits der Küsten.
Die meisten unserer Tourist:innen kommen aus Deutschland, insbesondere aus NRW, Hessen und Niedersachsen. Der Anteil derer, die aus dem Ausland zu uns kommen, ist dagegen relativ klein. Hier führen unsere Nachbar:innen, die Dänen, das Ranking an. Auch für Gäste aus der Schweiz und aus Österreich sind wir durchaus interessant. Diese ausländischen Gästegruppen sind qualitätsbewusst und anspruchsvoll, denen müssen wir mehr bieten als „Scholle satt“ – wenn uns das gelingt, bleibt aber auch mehr Wertschöpfung pro Gast im Land.
Die Tourismusstrategie hat Nachhaltigkeit erstmals explizit als Handlungsfeld auf Landesebene definiert. Seit 2014 scheint es immer zentraler geworden zu sein. Ein Erfolg?
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Stichwort, muss aber auch gelebt und umgesetzt werden. Und da muss sich jeder Akteur fragen: Welchen Beitrag kann ich selbst leisten? Wie reisen meine Gäste an, welche Materialien verwende ich für Bau und Ausstattung meines Beherbergungsbetriebs, welche regionalen Produkte lassen sich in mein Speiseangebot integrieren, wie kann ich Energie und Wasser sparen, umweltschonend reinigen, die Außenbereiche insektenfreundlich gestalten?
Auch die Saisonverlängerung ist und bleibt ein wichtiges Nachhaltigkeits-Ziel unserer Strategie, denn so lässt sich die touristische Infrastruktur besser nutzen und die Arbeitsverhältnisse werden nachhaltig: Wir wollen weg von der Saisonkraft hin zu stabilen Beschäftigungsverhältnissen, die Betrieben wie Mitarbeitenden gleichermaßen Sicherheit und Perspektive bieten. Hier haben wir schon einiges erreicht, wollen aber noch besser werden. Nachhaltigkeit ist ein Qualitätsversprechen.

Dr. Bernd Buchholz ist seit 2017 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein. Der promovierte Jurist arbeitete als unter anderem als Verlagsleiter beim stern und Gruner + Jahr Deutschland. Seit 1981 ist er Mitglied der FDP und seit 2013 ihr stellvertretender Landesvorsitzender. Bernd Buchholz ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die nächste Tourismus-Strategie 2030 ist aktuell in Arbeit. Welches werden die zentralen Aspekte sein? Welche konkreten Ziele wird sie formulieren?
Wir wollen Vorreiter und Vorbild für nachhaltigen, verantwortungsbewussten Qualitätstourismus im deutschsprachigen Raum sein. Das ist ein hehres Ziel und bedeutet viel Arbeit in den kommenden Jahren. Aber auf den Lorbeeren der Vergangenheit wollen und dürfen wir uns nicht ausruhen, sonst verliert Schleswig-Holstein schnell den Anschluss, die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht.
Was wir konkret tun wollen, haben wir in zehn Handlungsfeldern gebündelt – von Marketing bis Förderung, von Mobilität bis Mitarbeitendenzufriedenheit, von Qualitätssteigerung bis Tourismusakzeptanz – und noch ein paar Themen mehr. In jedem dieser Handlungsfelder stecken konkrete Leitprojekte, Maßnahmenvorschläge und Kennzahlen, anhand derer wir kontinuierlich und selbstkritisch überprüfen wollen, ob wir erfolgreich unterwegs sind.
Denn ehrlicherweise muss man sagen: Die letzten Jahre haben uns ein bisschen satt gemacht, der Erfolg kam fast wie von allein. Corona hat aber gezeigt, dass sich die Dinge ganz schnell ganz grundlegend ändern können. Davon haben wir zum Teil erheblich profitiert. Wenn in Zukunft Auslandsdestinationen aber wieder attraktiver werden, können die zusätzlichen Gäste, die wir insbesondere in den Modellregionen gewonnen haben, schnell wieder weg sein. Deshalb ist es wichtig, innovativ zu sein, qualitätsbewusst zu bleiben und Tourismus dreidimensional zu denken: Nicht nur auf den Gast kommt es an, sondern auch auf die Wünsche der Einheimischen und die der Mitarbeitenden. Erst dann leben wir Nachhaltigkeit echt und ehrlich.
Lieber Bernd Buchholz, vielen Dank für das Gespräch!

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Tourismus & Nachhaltigkeit
Thema VI. In Kooperation mit den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien RENN.Nord. 180 Seiten
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