Kirsten Boie und der Glaube an den Apfel

Kirsten Boie

Ihr erstes Buch erschien 1985. Inzwischen hat Kirsten Boie und Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Doch auch als vehemente Fürsprecherin für die Rechte von Kindern als Leser*innen setzt sie sich ein und wurde 2011 für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im März 2020 wird sie 70 Jahre alt.

Wenn das Hamburger Jugendamt Kirsten Boie nach der Adoption die Tätigkeit als Lehrerin nicht untersagt hätte, wäre sie vielleicht nie eine berühmte Schriftstellerin geworden. Generationen von Kindern wären Begegnungen mit dem Ritter Trenk, der Prinzessin Rosenblüte, dem Meerschweinchen King Kong, der Nachbarschaft im Möwenweg und der Phantasiewelt von Skogland versagt geblieben.

Kirsten Boie.  Foto: Indra Ohlemutz
Die Autorin Kirsten Boie. Foto: Indra Ohlemutz

Kirsten Boies erstes Buch: Paule ist ein Glücksgriff

Also fing sie an zu schreiben. Und das erste Buch handelte auch gleich von einer Adoption und hieß schon fast programmatisch „Paule ist ein Glücksgriff“. Paule, ein Junge aus Somalia, wächst in einer Adoptivfamilie auf und muss sich nicht nur mit seiner Herkunft auseinandersetzen, sondern auch mit Vorurteilen seiner Umgebung. Das Buch an sich wurde für Kirsten Boie selbst ein Glücksgriff; es heimste auf Anhieb zahlreiche Nominierungen und Preise ein und stand auf der Auswahlliste zum Jugendliteraturpreis.



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Boie ist eine echte Norddeutsche und bleibt der Elbe treu. Geboren zu Beginn der fünfziger Jahre in Hamburg, wächst sie in Barmbek auf, Studium daselbst in den Fächern Eng-lisch, Deutsch und Literaturwissenschaft. Eigentlich wollte sie Ärztin werden, entscheidet sich dann doch für ein Lehramtsstudium. Sie arbeitet anschließend auch in der Hansestadt.

Mittlerweile lebt sie in Barsbüttel in der Nähe Hamburgs in Schleswig-Holstein. Seitdem sie mit dem Schreiben begonnen hat, erscheinen in regelmäßigen Abständen Bücher, die eine große Lesegemeinde kleiner Leute findet. Als Kind liebt sie die Bücher von Astrid Lindgren, aber vergleichen möchte sie sich mit der Schwedin, die mittlerweile zur Kinderbuchklassikerin avanciert ist, beileibe nicht, wie sie im Gespräch mit der ZEIT betonte. Mit Ironie und Hintersinn erzählt Boie Geschichten, schafft Figuren und neue Welten. Ihre Texte sind vielfältig. Manche Werke eignen sich für das Vorlesealter, andere wiederum sind – ob ihrer komplexeren Themen – eher für Jugendliche geeignet.

Als junge Lehrerin ging sie bewusst an eine Gesamtschule in Mümmelmannsberg. Die soziale Realität, mit der sie dort konfrontiert war, spiegelt sich in vielen ihrer Bücher wider, ob es nun um Ausgrenzung, psychische Krankheiten, Rassismus oder Mobbing geht. Oder um den ganz normalen Alltag im Möwenweg, wenn man ihn auch schmunzelnd lesen kann und Kindern das Gefühl vermittelt, Geborgenheit und Freundschaft finden zu können.

Politisches Engagement

2007 erhält Boie den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises; den eigentlichen Jugendliteraturpreis hat sie nie erhalten, auch, weil sie konsequenterweise ein Buch zurückzog, nachdem es starker Kritik ausgesetzt war und stattdessen eines ihrer Kinderbücher nominiert wurde. Ihre Bücher sind politisch, wie auch ihr Engagement.

In ihren Texten, Reden und Interviews tritt Boie vehement für die Rechte von Kindern als Leserinnen und Leser auf, mit ihren Ansprüchen, ihrer spezifischen Lebenswelt und vor allem ihren besonderen Bedürfnissen, die Welt zu erfahren.

Besonders liegt der Autorin die Leseförderung in der Schule am Herzen. Und das hat für Boie durchaus nicht nur eine ästhetische, sondern ebenso eine politische Funktion: „Wer Geschichten liest“ schreibt sie 2018 in der ZEIT, „schult seine Fähigkeit und Bereitschaft, komplexe Zusammenhänge zu verstehen; populistische Vereinfachungen haben es darum bei Lesern schwerer. Zudem organisieren wir Menschen unser Denken narrativ. Unsere Erinnerungen sind als Geschichten in unserem Gedächtnis gespeichert. Wir konstruieren sie aus unseren Erlebnissen und geben ihnen damit einen Sinn. Sie erlauben uns, Vergangenes so zu erzählen, dass wir damit leben können.“

Kirsten Boies Glaube an den Apfel

Kein Buch allein kann die Welt bewegen, davon ist die Autorin überzeugt. Aber viele Bücher gemeinsam, können die richtigen Anstöße geben. Jedes einzelne Buch aber ist etwas ganz Besonderes. War früher für Kinder ein geschenkter Apfel etwas Besonderes, so müsste es heute der Schokoriegel sein. Gegen diesen Trend setzt Kirsten Boie den Glauben an den Apfel, wie sie sagt: „Die Literatur unseres Jahrhunderts, inzwischen auch zunehmend die Kinder- und Jugendliteratur, hat […] die Technik der Innensicht verfeinert […] Wie Menschen fühlen, denken, was ihre Motive dafür sind, so oder so zu handeln, erzählt ein Buch, wie es mir kein Film zeigen kann. Und bringt es noch dazu auf den Begriff, sodass ich damit, gedanklich, umgehen, vielleicht Fragen klären, vielleicht auch zum ersten Mal stellen kann. […] Das Lesen arbeitet mit den eigenen Erfahrungen, Gefühle, Bildern, arrangiert sie neu. Wer liest, hat es mit sich selbst zu tun.“ In diesem Sinne feiert Kirsten Boie im März ihren siebzigsten Geburtstag. //

Martin Lätzel

zur Website von Kirsten Boie