Literarische Begegnungen quer durchs Land

Neustart! Das Projekt Lesereise Schleswig-Holstein plant rund 150 Präsenzveranstaltungen im ganzen Land. Wir haben mit Projektleiter Heinrich Wolf über Herausforderungen und Erfahrungen gesprochen.

Heinrich Wolf, vor zwei Jahren wäre es noch ganz normal gewesen. Heute, vor dem Hintergrund von Pandemie und Eindämmungsmaßnahmen, klingt das Projekt, das Sie leiten, geradezu aberwitzig: Mit der Lesereise Schleswig-Holstein planen Sie noch im Sommer 2021 rund 150 Live-Veranstaltungen …

Richtig, es mag noch etwas aberwitzig klingen, doch ist es im Grunde nur ambitioniert. Man könnte sagen, dieses Projekt ist eine Antwort auf den Frust des Corona-Jahres 2020. So viel haben die unterschiedlichen Kulturschaffenden, Spielstätten, Künstlerinnen und alle Unterstützenden versucht, um die Kultur im Land aufrecht zu halten, doch vieles musste, zumindest noch im letzten Jahr, scheitern. Wir haben uns mit der Lesereise vorgenommen, weit Anlauf zu nehmen. Nun sieht alles so weit gut aus und wir freuen uns darauf, rechtzeitig bereit zu sein, sobald die Schleswig-Holsteinische Kultur wieder richtig loslegen kann. Darauf hoffen wir nämlich ganz fest zum Sommerende 2021. Und damit dann das ganze Land etwas von diesem Anlauf hat, müssen es eben ein paar mehr Leseabende werden. Auf mehr Bühnen an vielen Orten. Und ganz schnell wird eine Reise draus. Für diese Lesereise haben wir 50 Orte, die im ganzen Land verteilt sind, ausgewählt und bereisen diese mit 50 Autorinnen aus Schleswig-Holstein. Dabei liegt kein Ort mehr als 20 km vom anderen entfernt. Damit decken wir alle Regionen im Land ab, stricken ein starkes Netzwerk unserer Organisatorinnen vor Ort und ermöglichen allen Schleswig-Holsteinerinnen und ihren Gästen noch dieses Jahr wieder Kultur live und bei sich vor Ort zu erleben.

Was ist das Ziel des Projekts?
Natürlich wollen wir zunächst einmal einfach schöne literarische Abende für Spielstätten, Künstler*innen und das Publikum ermöglichen und wieder eine Gelegenheit bieten, nach langer Durststrecke bei sich zu Hause, aber endlich wieder vor der Tür, etwas Kultur zu erleben. Doch darüber hinaus wollen wir auch als Projekt die Kultur des Landes stärken – das maßgebliche Ziel ist es, mit einer Impulsreihe von Veranstaltungen in Büchereien und Volkshochschulen und mancherorts auch an untypischen Orten und Einrichtungen der freien Kulturszene einen Weckruf an die Kulturschaffenden und alle Interessierten an Kunst und Kultur zu senden.
Kultur – für uns besonders die Literatur – ist nicht abgesagt und sicher nicht verzichtbar, sie ist lebendig und wartete nur tapfer darauf, endlich wieder glänzen zu können und von Bühnen und durch Zuhörerkreise zu scheinen. Mit den vielen zusammengehörenden Veranstaltungen der Lesereise SH werden wir hoffentlich etwas Wind machen können, um so vielerorts auch kulturelles Leben zurück in das Bewusstsein derer bringen, die vor Ort an der Umsetzung des kulturellen Lebens beteiligt sind. Ganz nach dem Vorbild unseres Förderprogramms vom Deutschen Literaturfonds möchten wir damit helfen, den Neustart der Kultur in Schleswig-Holstein zu unterstützen.

Sie setzen also auf ein landesweites, engmaschiges Netz von kleinen Veranstaltungen. Sie planen, die Menschen vor Ort einzubinden – stößt das auf Interesse? Wie wird das angenommen? Können Sie Ihren Eindruck schildern?
Ohne die Menschen vor Ort geht das überhaupt nicht! Darum und um eben genau die treibenden Kräfte vor Ort wieder in Position zu bringen, haben wir von Beginn der Planungen an mit den starken Netzwerken der Büchereien und Volkshochschulen im Land zusammengearbeitet und die Menschen in den Kommunikationsprozess eingeladen. In allen unseren Veranstaltungsorten haben wir schnell tolle und motivierte Menschen gefunden, die mit uns gemeinsam die Veranstaltungen individuell am jeweiligen Ort planen. Nicht nur dort warten die Menschen nur so darauf, dass es wieder los geht. Auch viele Vereine und Ehrenamtliche haben den Kontakt zu uns aufgenommen und möchten sich engagieren. Gerade die Menschen vor Ort kennen ihr Publikum und auch die Künstlerinnen vor Ort besser als jedes Projektbüro. Darum haben wir versucht, maßgeblich das zu ermöglichen, was sich die Spielstätten und Künstlerinnen vor Ort wünschen und was die Kulturszene jetzt braucht – Möglichkeiten, Veranstaltungen auszurichten oder bei solchen aufzutreten.
Wir haben die Organisator*innen ermutigt, auch andere lokale Vereine und Strukturen miteinzubinden – das geschah vielerorts fast wie von selbst. Vom Landfrauenverein über Feuerwehren und Sportclubs, Künstlervereine, Lesezirkel und Kultur-Erlebnishöfe – jeder ist willkommen. Und es zahlt sich aus! Wir sind auf so viele großartige, auch unkonventionelle Ideen gebracht worden und haben bereits überwältigende Unterstützung erhalten. Es macht einfach Spaß, ein Teil einer Idee zu sein, die immer größere Kreise zieht und viele Menschen zusammenbringt. Dann zu erleben, wie sich die Dinge gerade an schwierigen Orten verselbstständigen und etwa strukturschwächere Regionen Kooperationen bilden, um sich gegenseitig mit Räumlichkeiten, Fahrdiensten und technischer Ausrüstung zu unterstützen, zeigt doch, dass das Projekt etwas bewegt. Da waren wir schon ein bisschen der Stein des Anstoßes, der beigetragen hat, diese unfreiwillige Stille, die mancherorts aufgrund der langen Unsicherheit durch Corona eingekehrt war, zu vertreiben. Das ist für uns als Lesereise-Initiatoren ein schönes Geschenk, jetzt zu sehen, wie geschäftig alle wieder schnacken und organisieren.

Zur Planung eines solchen Projektes gehört heute wahrscheinlich eine große Portion Optimismus. Gibt es einen Plan B? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wären Online-Lesungen im Falle des Falles keine Alternative…
Genau, das haben wir eigentlich von Anfang an ausgeschlossen. Es geht uns eben grundsätzlich auch genau darum, durch die zwar guten und richtigen Programme im virtuellen Raum und die neuen Alternativen zu klassischen Kulturveranstaltungen nicht die soziale Komponente kulturellen Erlebens außer Acht zu lassen. Sobald irgendwie möglich müssen wir gerade im ländlichen Bereich die Kultur zurück in die Ortskerne und zu den Menschen bringen. Es gibt keinen Ersatz für den Zusammenhalt der ländlichen und sozialen Gemeinschaften. In den Städten mag es vielleicht für gewisse Altersgruppen genug Alternativen zu Kulturveranstaltungen geben, um nicht zu vereinsamen, doch ist ein lebendiges öffentliches Leben für die meisten Menschen nicht durch Videos und Podcasts ersetzbar. Deshalb war es uns für die Lesereise Schleswig-Holstein wichtig, echte Veranstaltungen anzubieten. Sollten wir das nicht in den vorgesehenen Sälen, Büchereien und Volkshochschulen machen können, planen wir mit mobiler Bühnentechnik und den Fahrbüchereien, die ohnehin ein weiteres beeindruckendes Netzwerk kultureller Teilhabe in Schleswig-Holstein bilden, ein alternatives Outdoor-Programm umzusetzen. Daran glauben wir fest und ich finde, etwas Optimismus können wir uns nach all den kulturellen Entbehrungen der letzten Zeit ruhig leisten, das bringt Farbe ins Gesicht.

Wer genau steckt denn hinter dem Projekt und wie kam es zustande?
Lesereise Schleswig-Holstein – literarische Begegnungen quer durchs Land, so der offizielle Titel, ist aus einem Antrag des Büchereivereins Schleswig-Holstein e.V. beim Programm „Neustart Literatur“ des Deutschen Literaturfonds e.V., der im Herbst vergangenen Jahres gestellt wurde, hervorgegangen. Mit dem Verband der Volkshochschulen Schleswig-Holstein e.V. und dem Landeskulturverband Schleswig-Holstein e.V. wurden zwei starke Kooperationspartner für das Projekt gefunden, das ich nun als Kultur- und Projektmanager koordinierend im Auftrag der Kooperationspartner leiten darf, worüber ich mich natürlich sehr freue. Eigentlich stecken zum jetzigen Zeitpunkt der Planung aber aktuell rund 300 begeisterte Schleswig-Holsteiner*innen, deren Herz für die spannende und abwechslungsreiche Literatur dieses schönen Bundeslandes schlagen. Jeden Tag werden es ein paar mehr. Ich hoffe, dass wir es schaffen werden, dies bei der Lesereise Schleswig-Holstein spürbar werden zu lassen.

Lieber Heinrich Wolf, ich drücke Ihnen und der Lesereise SH die Daumen. Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte: Kristof Warda

Das Projekt Lesereise Schleswig-Holstein wird gefördert vom Programm „Neustart Literatur“ des Deutschen Literaturfonds e.V.

Sobald die Termine feststehen, finden Sie alle Informationen unter www.lesereise.sh.