Donnerstag, 21. September 2023

Martin Lätzels Ana[B]log

Shit in – shit out. Kultur und künstliche Intelligenz

KulturzeitschriftShit in – shit out. Kultur und künstliche Intelligenz

Fast jede Rede beginnt momentan mit dem Satz: „Ich habe mal bei ChatGPT nachgefragt“. Meistens wird die Äußerung begleitet von einem verschmitzten Lächeln. So, als hätte man etwas Verbotenes gemacht. Das ist vermutlich der Reiz der neuen Entwicklung. Sie ist neu und für Laien unverständlich, außerdem wird sie heiß diskutiert. Da bekommt die Anwendung etwas Konspiratives.

Mit ChatGPT gibt es erstmals ein weit verbreitetes Instrument auf dem Markt, das relativ leicht zugänglich ist und erfahrbar macht, was Künstliche Intelligenz (KI) alles kann. Dass wir es nur mit der Spitze eines Eisbergs zu tun haben, blenden die meisten von uns vermutlich aus. Künstliche Intelligenz kommt bereits in so vielen Anwendungen des Alltags vor, dass wir sie nicht wahrnehmen oder auch gar nicht vorstellen können. Sprachassistenten –virtuelle Assistenten wie Siri, Google Assistant und Amazon Alexa nutzen KI, um Fragen zu beantworten, Aufgaben zu erledigen und mit Benutzern zu interagieren. Plattformen wie Netflix, Spotify und Amazon verwenden KI-Algorithmen, um personalisierte Empfehlungen basierend auf den Vorlieben und dem Verhalten der Benutzerinnen und Benutzer zu geben. KI wird auf E-Commerce-Plattformen verwendet, um Produktvorschläge zu generieren, personalisierte Werbung anzuzeigen und Betrug zu erkennen. In Sicherheitssystemen, Mobilgeräten und sozialen Medien dient KI der Gesichtserkennung. Dies ermöglicht Funktionen wie das Entsperren eines Smartphones mit dem Gesicht und das Markieren von Freunden in Fotos. KI-Algorithmen analysieren E-Mails, Nachrichten und Kommentare, um unerwünschte Inhalte wie Spam, Phishing-Versuche und beleidigende Kommentare zu erkennen und zu blockieren. In der Medizin wird KI eingesetzt, um medizinische Bilder wie Röntgenaufnahmen und MRT-Scans zu analysieren und nach Anomalien oder Krankheiten zu suchen. KI kann Ärzt*innen bei der Diagnose und Behandlung unterstützen. KI spielt eine zentrale Rolle in autonomen Fahrzeugen, indem sie Sensordaten analysiert, Hindernisse erkennt und Fahrmanöver plant. Unternehmen wie Tesla und Waymo setzen KI ein, um selbstfahrende Autos zu entwickeln. KI-basierte Chatbots und virtuelle Assistenten werden in Kundenservice-Anwendungen eingesetzt, um häufig gestellte Fragen zu beantworten, Probleme zu lösen und den Benutzern zu helfen. Plattformen wie Google Translate verwenden KI, um Texte und Sprache in Echtzeit zu übersetzen und Menschen bei der Kommunikation über Sprachbarrieren hinweg zu unterstützen.

Da die Technologie weiterentwickelt wird, ist es wahrscheinlich, dass wir in Zukunft noch mehr KI-Anwendungen sehen werden. Vieles davon ist für uns schon selbstverständlich geworden und wird nicht mehr hinterfragt. Nun, da das Thema durch ChatGPR gehypt in den Medien diskutiert wird und selbst schon Einzug in Elternabende gehalten hat, scheint eine Art Kulturkampf ausgebrochen zu sein: Wir gehen wir (in Zukunft) mit Künstlicher Intelligenz um? Ein wichtiger Aspekt der Diskussion dreht sich um die ethischen Fragen im Zusammenhang mit KI. Es gibt Bedenken hinsichtlich der Verantwortung von KI-Systemen und ihrer Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Privatsphäre, Diskriminierung, Sicherheit und sogar existenzielle Risiken. Einige argumentieren, dass wir KI-Systeme mit Sorgfalt entwickeln und einsetzen müssen, um negative Konsequenzen zu vermeiden. Die fortschreitende Automatisierung durch KI-Technologien kann zu Arbeitsplatzverlusten in bestimmten Branchen führen. Dies hat zu Bedenken und Frustrationen geführt, insbesondere bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich von KI bedroht fühlen. Es gibt Debatten darüber, wie wir den Übergang zu einer zunehmend automatisierten Arbeitswelt gestalten können, um negative Auswirkungen auf die Gesellschaft zu minimieren. Allerdings steht uns die Demographie und der Fachkräftemangel bevor. Durch den Einsatz von KI können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von standardisierten Aufgaben befreit werden. Natürlich erfordert die Anwendung von KI oft den Zugriff auf große Mengen an Daten. Dies wirft Fragen zum Datenschutz und zur Privatsphäre auf. Einige befürchten, dass KI-Systeme missbraucht werden könnten, um persönliche Informationen zu sammeln und zu missbrauchen. Es gibt eine Debatte darüber, wie wir den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten und gleichzeitig die Vorteile der KI nutzen können. Vor allem aber darf nicht ausgeblendet werden, wie wichtig eine gute Datenbasis ist. Bringen wir es auf den Punkt: Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, sondern nur eine effiziente Art, zu rechnen. Chatprogramme berechnen schlicht die Wahrscheinlichkeit des nächsten Wortes, um Sätze zu vervollständigen. Je besser die Daten, desto besser die Ergebnisse. Shit in – shit out. Wenn wir unser Augenmerk auf gute Daten richten, können wir auch den so häufig befürchteten Bias vermeiden. Denn KI kann kulturelle und soziale Auswirkungen haben, beispielsweise durch die Beeinflussung von Meinungen und Einstellungen über personalisierte Algorithmen oder die Verstärkung von bestehenden gesellschaftlichen Vorurteilen. Die Diskussion darüber, wie KI-Systeme entwickelt werden sollten, um Vielfalt und Gerechtigkeit zu fördern, sollte also zwingend geführt werden.

Letzten Endes geht es nicht um Technik. Es geht wirklich um die Kultur. Nicht verstanden als Synonym für die kulturelle Infrastruktur, sondern als politischer bzw. sozialer Diskurs und Habitus in unserer Gesellschaft. „In erster Linie“, so paraphrasiert die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout den Soziologen Joseph Huber, drückten „Technikdebatten ‚Geltungskonflikte von Weltbildern‘ aus. Bestimmte Weltbilder beinhalten auch bestimmte Technikbilder, die […] mit expliziten Naturbildern, Menschenbildern, Wissenschaftsbildern, Gesellschaftsbildern einhergingen und sich ‚zu typischen Weltbildmustern‘ zusammenfügten.“ Anhand der Diskussion um die Technik verhandelt also die Gesellschaft ihre Werte und Optionen. Die zugrunde gelegten Daten beruhen auf Haltungen. Die Debatte um die Anwendung Künstlicher Intelligenz startet also nicht mit der Technologie, sondern mit der Frage: Wie wollen wir zukünftig zusammenleben?

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